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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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sah ihn voller Erstaunen an und zögerte ein Weilchen. Sie sah, dass er betrunken war.
    »Habe nichts dagegen.«
    Er fand es lustig, dass sie einen Ausdruck gebrauchte, den er so oft aus Mildreds Mund gehört hatte. Er führte sie in eines der Restaurants, wo er mit Mildred hinzugehen pflegte. Er sah, wie sie beim Weitergehen auf seinen Klumpfuß hinuntersah.
    »Ich habe einen Klumpfuß«, sagte er. »Hast du was dagegen?«
    »Du bist ein komischer Kerl«, lachte sie zurück.
    Als er heimkam, taten ihm alle Knochen weh, und sein Kopf pochte so stark, dass er schreien wollte. Er nahm noch einen Whisky mit Soda, um sich zu beruhigen, ging zu Bett und fiel sofort in einen tiefen, traumlosen Schlaf, der bis gegen Mittag des andern Tages dauerte.

78
     
    Endlich kam der Montag, und Philip glaubte, seine Qualen nun überstanden zu haben. Er studierte die Zugverbindungen und stellte fest, dass der letzte Zug, mit dem Griffith seine Heimat erreichen konnte, Oxford um ein Uhr verließ; er nahm an, dass Mildred einen Zug nehmen würde, der ein paar Minuten später nach London fuhr. Sein Wunsch war, hinzugehen und sie abzuholen; aber er glaubte, Mildred würde sicher gern einen Tag allein gelassen werden; vielleicht schickte sie ihm am Abend ein Briefchen, um ihm mitzuteilen, dass sie zurück sei; wenn nicht, so würde er am nächsten Morgen zu ihr gehen. Er fühlte sich bezwungen. Für Griffith empfand er bitteren Hass, aber nach Mildred – trotz allem, was passiert war – nur ein herzzerreißendes Verlangen. Er war jetzt nur froh, dass Hayward am Sonnabend nicht in London gewesen war, als er verzweifelt nach menschlicher Tröstung gesucht hatte; er hätte sich nicht zurückgehalten und ihm alles erzählt, und Hayward wäre über seine Schwäche höchst erstaunt gewesen. Er hätte ihn verachtet, wäre vielleicht sogar schockiert oder abgestoßen gewesen, dass er Mildred noch immer wollte, nachdem sie sich einem andern Mann an den Hals geworfen hatte. Was kümmerte es ihn, ob es schockierend oder abstoßend war! Er war zu jedem Kompromiss bereit und auf noch weitere Erniedrigungen gefasst, wenn er nur seine Begierde stillen konnte.
    Am Abend führten seine Schritte ihn gegen seinen Willen zu dem Haus, in dem Mildred wohnte, und er sah zu ihrem Fenster hinauf. Es war dunkel. Er wagte nicht nachzufragen, ob sie zurück sei. Er vertraute auf ihr Versprechen. Aber auch am Morgen kam kein Brief von ihr, und als er am Mittag doch nachfragen ging, sagte das Mädchen, dass Mildred noch nicht zurück sei. Er konnte es nicht verstehen. Er wusste, dass Griffith am Tage vorher hatte nach Hause fahren müssen, denn er war Trauzeuge bei einer Hochzeit, und Mildred hatte kein Geld mehr. Er spielte alle Möglichkeiten durch. Am Nachmittag ging er wieder hin und hinterließ eine Nachricht, mit der er sie einlud, am Abend mit ihm zu essen. Der Zettel war in einem so ruhigen Ton gehalten, als wären die Ereignisse der letzten vierzehn Tage nicht geschehen. Er bestimmte Zeit und Ort, wo sie sich treffen wollten, und hielt die Verabredung ein, obwohl er auf ihr Kommen kaum zu hoffen wagte. Obwohl er eine Stunde lang wartete, erschien sie nicht. Am Mittwoch schämte er sich, selbst wieder bei ihr zu Hause nachzufragen, und schickte stattdessen einen Boten mit einem Brief; er gab ihm Anweisung, auf die Antwort zu warten; aber nach einer Stunde kam der Junge mit Philips ungeöffnetem Brief wieder und brachte als Antwort, dass die Dame noch nicht vom Land zurück sei. Philip war außer sich. Dieser letzte Vertrauensbruch war mehr, als er ertragen konnte. Er wiederholte sich immer und immer wieder, dass er Mildred verabscheute, und da er Griffith die Schuld an dieser neuen Enttäuschung gab, hasste er ihn so sehr, dass er sich plastisch vorstellen konnte, welche Freude ein Mord bereiten kann: Er stellte sich vor, was für ein Genuss es sein musste, in einer finstern Nacht über ihn herzufallen und ihm einen Dolch in die Kehle zu stoßen, gerade über der Schlagader – und ihn dann auf der Straße wie einen Hund krepieren zu lassen. Philip war völlig von Sinnen vor Kummer und Wut. Er machte sich eigentlich nichts aus Whisky, aber er trank, um sich zu betäuben. Zwei Tage hintereinander ging er betrunken zu Bett.
    Am Donnerstagmorgen stand er sehr spät auf und schleppte sich bleich, mit trüben Augen, ins Wohnzimmer, um nachzusehen, ob ein Brief da sei. Ein eigenartiges Gefühl schoss ihm durchs Herz, als er Griffiths Handschrift erkannte:
Lieber

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