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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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möchtest, dass wir fahren?«
    »Ich glaube nicht, dass du so weit zu gehen brauchst«, sagte Philip.
    Sie sah Philip ein paar Augenblicke schweigend an. Philip zwang sich, ihren Blick freundlich zu erwidern. Er hasste sie, er verachtete sie, er liebte sie von ganzem Herzen.
    »Ich werde dir sagen, was ich mache. Ich gehe hin und sehe nach, ob er es nicht einrichten kann. Und dann, wenn er ja sagt, komme ich her und hole mir das Geld morgen ab. Wann bist du zu Hause?«
    »Ich komme nach dem Mittagessen zurück und warte.«
    »Gut.«
    »Das Geld für das Kleid und die Miete gebe ich dir jetzt.«
    Er ging an seinen Schreibtisch und nahm alles Geld, was er hatte, heraus. Das Kleid kostete sechs Guineen, dann die Miete und Essen für sie und das Pflegegeld für die Kleine. Er gab ihr acht Pfund und zehn Shilling.
    »Vielen Dank!«, sagte sie und verließ ihn.
    77
     
    Nachdem Philip in der Medical School unten im Kasino gegessen hatte, ging er nach Hause zurück. Es war Samstagnachmittag, und die Wirtin machte die Treppen sauber.
    »Ist Mr.   Griffith da?«, fragte er.
    »Nein. Er ist heute Morgen ausgegangen, sehr bald, nachdem Sie weg waren.«
    »Kommt er nicht zurück?«
    »Ich glaube nicht. Er hatte seine Koffer mit.«
    Philip fragte sich, was das wohl zu bedeuten habe. Er holte sich ein Buch und begann zu lesen. Es war Burtons Journey to Meccah, das er sich gerade aus der öffentlichen Bibliothek von Westminster entliehen hatte; er las die erste Seite, aber er wusste nicht, was er las, denn seine Gedanken waren woanders; er horchte die ganze Zeit auf das Läuten der Glocke. Er wagte nicht zu hoffen, dass Griffith schon ohne Mildred in seine Heimat in Cumberland abgefahren sei. Mildred würde sicher gleich wegen des Geldes kommen. Er nahm sich zusammen und las weiter; er versuchte verzweifelt, sich zu konzentrieren; durch die Kraft seiner Anstrengung prägten sich die Sätze zwar tief in sein Gehirn, aber sie waren durch die Qual verzerrt, die er durchlitt. Er wünschte von ganzem Herzen, dass er den schrecklichen Vorschlag, ihnen Geld zu geben, nicht gemacht hätte; aber jetzt, da er nun einmal gemacht war, fehlte ihm die Kraft, dieses Geld zu verweigern, nicht Mildreds, sondern seiner selbst wegen. Es war ein krankhafter Trotz in ihm, der ihn zwang, das zu tun, was er sich vorgenommen hatte. Er bemerkte, dass er von den drei Seiten, die er bisher gelesen hatte, nichts behalten hatte; also begann er wieder von vorne; einen Satz las er immer wieder, und jetzt prägte er sich in seine Gedanken ein, schrecklich wie eine Formel in einem Albtraum. Eines konnte er tun: ausgehen und bis Mitternacht wegbleiben; dann würden sie nicht fahren können; er stellte sich vor, wie sie stündlich anklopften und fragten, ob er zu Hause sei. Er genoss den Gedanken an ihre Enttäuschung. Diesen Satz wiederholte er sich mechanisch. Aber er konnte es nicht tun. Sollten sie kommen und das Geld annehmen; dann würde er wenigstens wissen, zu welchen Abgründen der Gemeinheit Menschen herabsinken konnten. Er konnte nicht weiterlesen. Er konnte die Worte einfach nicht sehen. Er lehnte sich in seinen Stuhl zurück, schloss die Augen; ganz benommen vor Elend wartete er auf Mildred.
    Die Wirtin trat ein.
    »Wollen Sie Mrs.   Miller empfangen?«
    »Führen Sie sie herein.«
    Philip riss sich zusammen, um sie nichts von seinen Gefühlen sehen zu lassen. Er fühlte einen Drang, sich vor ihr auf die Knie zu werfen, ihre Hände zu ergreifen und sie anzuflehen, nicht zu gehen. Aber er wusste, dass er sie durch nichts würde erweichen können; sie würde nur Griffith weitererzählen, was er gesagt und wie er sich benommen hatte. Er schämte sich.
    »Na, wie steht’s mit dem kleinen Ausflug?«, sagte er heiter.
    »Wir fahren. Harry ist draußen. Ich habe ihm gesagt, du wolltest ihn nicht sehen; deshalb ist er dir aus dem Weg gegangen. Aber er möchte gern wissen, ob er auf einen Augenblick hereinkommen kann, um dir adieu zu sagen.«
    »Nein, ich will ihn nicht sehen«, sagte Philip.
    Er sah es ihr an, dass es ihr gleichgültig war, ob er Griffith empfing oder nicht. Jetzt, da sie hier war, wollte er nur, dass sie schnell wieder ging.
    »Hier sind die fünf Pfund. Ich möchte, dass du jetzt gehst.«
    Sie nahm es und dankte ihm. Sie drehte sich um, um aus dem Zimmer zu gehen.
    »Wann kommst du zurück?«, fragte er.
    »Am Montag. Harry muss dann nach Hause.«
    Er wusste, dass das, was er jetzt sagen würde, erniedrigend war, aber er war vor Eifersucht

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