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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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alter Freund!
Ich weiß kaum, wie ich Dir schreiben soll, und doch fühle ich, dass ich es tun muss. Ich hoffe, Du bist mir nicht schrecklich böse. Ich weiß, ich hätte nicht mit Milly weggehen sollen, aber ich konnte einfach nicht anders. Es hat mich einfach umgeworfen, und ich hätte alles getan, um sie zu bekommen. Als sie mir sagte, dass Du uns das Geld zum Fortgehen angeboten habest, konnte ich nicht widerstehen. Und jetzt, da alles vorbei ist, schäme ich mich so schrecklich und verfluche mich, weil ich ein solcher Narr gewesen bin. Ich wünschte, Du würdest mir schreiben, dass Du mir nicht böse bist, und ich wünschte, dass ich zu Dir kommen und Dich sehen dürfte. Es hat mir sehr weh getan, dass Du Milly gesagt hast, Du wollest mich nicht sehen. Schreib mir eine Zeile, sei ein lieber Kerl, und sag mir, dass Du mir vergeben hast. Es wird mein Gewissen beruhigen. Ich hatte gedacht, es mache Dir nichts aus, sonst hättest Du uns ja nicht das Geld angeboten. Aber ich weiß natürlich doch, dass ich es nicht hätte nehmen dürfen. Ich kam Montag heim, und Milly wollte gern noch ein paar Tage allein in Oxford bleiben. Sie fährt am Mittwoch nach London zurück, Du wirst sie also, wenn Du diesen Brief erhältst, bereits gesehen haben, und ich hoffe, es kommt nun alles wieder ins Lot. Bitte schreibe mir, dass Du mir vergeben hast. Schreibe bitte sofort.
Immer der Deine,
Harry
    Philip zerriss den Brief voller Wut. Er hatte nicht vor, ihn zu beantworten. Er verachtete Griffith wegen seiner Entschuldigungen, er hatte keine Nachsicht mit seinen Gewissensbissen: Man konnte sich gemein verhalten, wenn man wollte, aber es war verachtenswert, es danach zu bedauern. Er hielt den Brief für feige und heuchlerisch. Seine Sentimentalität ekelte ihn an.
    »Alles wäre sehr einfach, wenn man etwas Gemeines tun und dann einfach sagen könnte, dass es einem leid tut – und dann wäre alles wieder in bester Ordnung«, murmelte Philip vor sich hin.
    Er hoffte von ganzem Herzen, dass auch er eines Tages Griffith etwas würde antun können.
    Jedenfalls wusste er nun, dass Mildred zurück war. Er zog sich eilig an, ließ sich nicht einmal Zeit zum Rasieren, trank eine Tasse Tee und nahm einen Wagen zu ihrer Wohnung. Der Wagen schien zu kriechen. Er musste sie unbedingt sehen, und ohne es zu wissen, schickte er ein Stoßgebet zu dem Gott, an den er nicht glaubte, dass sie ihn freundlich empfangen möge. Er wollte alles vergessen. Mit klopfendem Herzen klingelte er. Über dem leidenschaftlichen Wunsch, sie wieder in die Arme zu schließen, vergaß er alles, was er durchgemacht hatte.
    »Ist Mrs.   Miller zu Hause?«, fragte er fröhlich.
    »Sie ist nicht mehr da«, antwortete das Mädchen.
    Er sah sie verwundert an.
    »Sie war vor ungefähr einer Stunde da und hat ihre Sachen abgeholt.«
    Einen Augenblick lang wusste er nicht, was er sagen sollte.
    »Haben Sie ihr meinen Brief gegeben? Hat sie hinterlassen, wohin sie gezogen ist?«
    Dann ging ihm auf, dass Mildred ihn wieder einmal betrogen hatte. Er bemühte sich, Haltung zu wahren.
    »Na schön, ich werde schon von ihr hören. Vielleicht hat sie ihren Brief an die andere Adresse geschickt.«
    Er wandte sich um und kehrte hoffnungslos in seine Wohnung zurück. Er hätte wissen müssen, dass sie das tun würde; sie hatte sich nie etwas aus ihm gemacht; sie hatte ihn, von Anfang an, zum Narren gehalten; sie kannte kein Mitleid, keine Güte, keine Nächstenliebe. Ihm blieb nur, sich ins Unvermeidliche zu fügen. Der Schmerz war grauenhaft; lieber tot, als das noch weiter aushalten zu müssen. Da kam ihm der Gedanke, dass es das Beste wäre, er machte Schluss mit allem; er könnte sich in den Fluss werfen oder den Kopf auf die Eisenbahnschienen legen. Aber er hatte diesen Gedanken kaum in Worte gefasst, als in ihm auch schon etwas dagegen rebellierte. Seine Vernunft sagte ihm, dass er mit der Zeit über sein Unglück hinwegkommen würde; wenn er es wirklich mit aller Kraft versuchte, würde er sie vergessen, und es wäre schon grotesk, wenn er sich wegen eines solch gemeinen, liederlichen Flittchens umbringen wollte. Er hatte nur ein Leben, und es war Wahnsinn, es wegzuwerfen. Er fühlte, dass er seine Leidenschaft niemals überwinden könnte, aber er wusste, dass es schließlich nur eine Frage der Zeit war.
    In London mochte er nicht bleiben. Alles erinnerte ihn hier an sein Unglück. Er telegrafierte seinem Onkel, dass er nach Blackstable kommen würde, und nahm dann, nachdem er

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