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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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Leiche zurechtmachte. Bald darauf kam ein Telegramm von Leonard Upjohn.
Über alle Maßen entsetzt und betrübt. Kann leider heute Abend nicht kommen. Zum Essen eingeladen. Bei Ihnen morgen früh. Tiefstes Beileid. Upjohn.
    Ein wenig später klopfte die Frau an die Wohnzimmertür.
    »Ich bin fertig, Sir. Wollen Sie ihn sich bitte ansehen, ob es so recht ist?«
    Philip folgte ihr. Cronshaw lag auf dem Rücken, die Augen waren geschlossen und die Hände fromm auf der Brust gefaltet.
    »Eigentlich sollten Sie ja ein paar Blumen haben.«
    »Ich besorge morgen welche.«
    Sie sah die Leiche noch mit einem befriedigten Blick an. Sie hatte ihre Arbeit geleistet, und nun zog sie sich die Ärmel herunter, nahm die Schürze ab und setzte sich die Haube auf. Philip fragte, wie viel er ihr schulde.
    »Ja, manche geben mir zweieinhalb Shilling und manche fünf.«
    Philip schämte sich, ihr weniger als die höhere Summe zu geben. Sie dankte ihm mit so viel Überschwenglichkeit, als sich angesichts des Schmerzes, den er vielleicht empfinden mochte, geziemte, und ging. Philip trat in sein Wohnzimmer zurück und räumte die Reste seiner Mahlzeit fort. Dann setzte er sich hin, um in Walshams Chirurgie zu lesen. Er fand es recht schwierig. Er fühlte sich ungewöhnlich nervös. Wenn er einen Schritt auf der Treppe hörte, sprang er auf, und das Herz schlug ihm heftig. Das Ding, das nebenan lag und einst ein Mensch gewesen war, ängstigte ihn. Die Stille schien voller Leben, als ginge eine geheimnisvolle Bewegung darin vor sich. Die Gegenwart des Todes lastete auf diesen Zimmern – unirdisch, furchteinflößend: Philip fühlte plötzlich ein Grauen vor dem, was einmal sein Freund gewesen war. Er versuchte, sich zum Lesen zu zwingen, schob aber das Buch verzweifelt beiseite. Was ihn so beunruhigte, war die absolute Sinnlosigkeit des Lebens, das da eben zu Ende gegangen war. Es war gleichgültig, ob Cronshaw lebte oder tot war. Es war genauso, als hätte er nie gelebt. Philip malte sich Cronshaw aus, als er jung gewesen war; er brauchte seine ganze Einbildungskraft, um ihn sich schlank, mit federnden Schritten, mit Haaren auf dem Kopf, frisch und hoffnungsfreudig vorzustellen. Philips Lebensregel, dass man seinen Instinkten folgen solle, ohne den Polizisten um die Ecke außer Acht zu lassen, hatte sich in diesem Falle nicht sonderlich günstig ausgewirkt, denn gerade das hatte Cronshaw getan und deshalb so ein jämmerlich gescheitertes Leben geführt. Es schien, dass man seinen Instinkten nicht trauen durfte. Philip war völlig verstört. Er fragte sich, welche Lebensregel es denn gab, wenn diese nichts nützte, und warum die Menschen eigentlich so und nicht anders handelten. Sie handelten gemäß ihren Gefühlen; die Gefühle jedoch konnten gut oder böse sein. Es schien ein reiner Zufall, ob sie zu Erfolg oder Untergang führten. Das Leben war ein unentwirrbares Durcheinander. Die Menschen eilten dahin und dorthin, von Kräften getrieben, die sie nicht kannten; und der Sinn all dessen entglitt ihnen; sie schienen sich nur um des Eilens willen zu beeilen.
    Am nächsten Morgen erschien Leonard Upjohn mit einem kleinen Lorbeerkranz. Es gefiel ihm, den toten Poeten damit zu kränzen, und er versuchte, trotz Philips ablehnendem Schweigen, ihn auf der Glatze zu befestigen; aber der Kranz sah grotesk aus. Er wirkte wie ein Hutrand, wie ihn drittklassige Komiker im Tingeltangel tragen.
    »Ich werde ihn ihm stattdessen aufs Herz legen«, sagte Upjohn.
    »Sie haben ihn auf den Magen gelegt«, bemerkte Philip.
    Upjohn antwortete mit einem dünnen Lächeln. »Nur ein Dichter weiß, wo Dichter ihr Herz haben«, antwortete er.
    Sie gingen in das Wohnzimmer hinüber, und Philip erzählte ihm, welche Vorbereitungen er für die Beerdigung getroffen hatte.
    »Ich hoffe, Sie haben keine Ausgaben gescheut. Es wäre schön, wenn dem Leichenwagen eine ganze Reihe leerer Kutschen folgte und wenn die Pferde lange wippende Federn trügen, und es sollte eine große Zahl Begräbniswärter mit langen Trauerbändern am Hut dabei sein. Der Gedanke an die vielen leeren Kutschen gefällt mir besonders.«
    »Da die Kosten für die Beerdigung allem Anschein nach auf mich fallen werden und ich eben nicht gerade viel Geld übrig habe, habe ich versucht, es so schlicht wie möglich zu halten.«
    »Aber mein Verehrtester, warum haben Sie dann nicht ein Armenbegräbnis gemacht? Da hätte doch Poesie darin gelegen. Sie haben einen absolut sicheren Instinkt für

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