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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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gelebt?«, fragte Philip.
    »Ich war elf Jahre lang in Spanien.«
    »Was haben Sie da gemacht?«
    »Ich war Sekretär der Englischen Wasserwerke in Toledo.«
    Philip erinnerte sich, dass Clutton einige Monate in Toledo verbracht hatte, und die Antwort, die er von dem Journalisten erhalten hatte, machte ihn in seinen Augen interessanter; er spürte jedoch, dass er das hier nicht zeigen durfte; es war nötig, die Distanz zwischen Patient und Krankenhauspersonal zu wahren. Nachdem er die Untersuchung beendet hatte, ging er zu den andern Betten.
    Thorpe Athelnys Krankheit war nicht weiter ernsthaft, und obwohl er noch immer gelb aussah, fühlte sich bald viel besser. Er blieb nur deshalb im Bett liegen, weil der Arzt es für ratsam hielt, ihn zu beobachten, bis gewisse Reaktionen normal geworden waren. Als Philip eines Tages in den Saal kam, sah er, dass Athelny mit einem Bleistift in der Hand ein Buch las. Er legte es hin, als Philip an sein Bett trat.
    »Darf ich sehen, was Sie da lesen?«, fragte Philip, der an keinem Buch vorbeigehen konnte, ohne es anzusehen.
    Philip nahm es auf und sah, dass es ein Band spanischer Lyrik war, Gedichte von San Juan de la Cruz; als er es öffnete, fiel ein Blatt Papier heraus. Philip hob es auf und sah, dass Verse darauf standen.
    »Sie haben doch nicht etwa Ihre freie Zeit benutzt, um Gedichte zu schreiben? Das ist eine höchst unpassende Tätigkeit für einen Krankenhauspatienten.«
    »Ich habe mich an ein paar Übersetzungen versucht. Können Sie Spanisch?«
    »Nein.«
    »Aber Sie sind doch sicherlich mit allem, was San Juan de la Cruz geschrieben hat, vertraut.«
    »Ganz und gar nicht.«
    »Er ist einer der spanischen Mystiker. Einer der besten Dichter, den sie je hatten. Ich dachte, es wäre schon der Mühe wert, dass man ihn ins Englische übersetzt.«
    »Kann ich mir Ihre Übersetzung einmal ansehen?«
    »Sie ist noch sehr roh«, sagte Athelny; er gab Philip das Blatt jedoch mit so viel Bereitwilligkeit, dass man merken konnte, er wollte gern, dass Philip es lese.
    Es war mit Bleistift geschrieben, in feiner, aber sehr eigenartiger Handschrift, die schwer lesbar war. Sie sah aus wie Fraktur.
    »Braucht man nicht furchtbar lange, um so zu schreiben? Es ist wunderbar.«
    »Ich weiß nicht, warum eine Handschrift nicht auch schön sein soll.«
    Philip las den ersten Vers:
In dunkler Nacht,
Sehnsucht- und liebentbrannt
Oh – Glück!
So ging ich, ungesehen, hin.
Mein Haus liegt nun in Frieden…
    Philip sah Thorpe Athelny verwundert an. Er wusste nicht recht, ob er ihm gegenüber schüchtern oder von ihm angezogen war. Er wusste wohl, dass er sich ein wenig herablassend freundlich verhalten hatte, und wurde rot, weil ihm plötzlich einfiel, dass Athelny ihn wohl für lächerlich gehalten haben mochte.
    »Was Sie für einen ungewöhnlichen Namen haben«, bemerkte er, nur um etwas zu sagen.
    »Es ist ein sehr alter Yorkshire-Name. Es hat einmal eine Zeit gegeben, wo das Haupt unserer Familie einen ganzen Tagesritt brauchte, um seine Güter zu umrunden, aber die Herrlichkeit ist dahin. Zu flotte Frauen und zu träge Pferde.«
    Er war kurzsichtig und sah die Menschen mit eigenartiger Eindringlichkeit an, während er mit ihnen sprach. Er nahm seinen Lyrik-Band wieder auf.
    »Sie sollten Spanisch lernen«, sagte er. »Es ist eine edle Sprache. Es ist nicht so übertrieben lieblich wie Italienisch – Italienisch ist die Sprache der Tenöre und Drehorgelmänner –, aber es hat Größe: Es plätschert nicht wie ein Bächlein im Garten, sondern es strömt dahin wie ein mächtiger Fluss bei einer Überschwemmung.«
    Das Pathos seiner Rede amüsierte Philip, aber er hatte eine Schwäche für Rhetorik; er hörte mit Vergnügen zu, als Athelny mit malerischen Ausdrücken und dem Feuer echter Begeisterung den großen Genuss beschrieb, den das Lesen von Don Quixote im Originaltext bereitete, und wie musikalisch, romantisch, klar und leidenschaftlich der bezaubernde Calderón sei.
    »Ich muss wieder an die Arbeit«, sagte Philip nach einer Weile.
    »Ach, verzeihen Sie, das habe ich ganz vergessen. Ich werde meiner Frau sagen, sie soll eine Fotografie von Toledo mitbringen; ich zeige sie Ihnen dann. Kommen Sie her, wenn Sie Gelegenheit haben, und lassen Sie uns weitersprechen. Sie können sich nicht vorstellen, was für eine Freude Sie mir damit machen.«
    Während der nächsten Tage entwickelte sich Philips Bekanntschaft mit dem Journalisten, in Augenblicken, in denen er sich, wenn sich eine

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