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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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ging zum Bett hinüber. Er wusste nicht, ob Cronshaw schlief oder nur in einem seiner unkontrollierbaren Anfälle von Reizbarkeit so dalag. Er war überrascht, als er sah, dass sein Mund offen war. Er berührte ihn an der Schulter und schrie entsetzt auf. Er glitt mit der Hand unter Cronshaws Hemd und fühlte nach seinem Herzen; er wusste nicht, was er machen sollte; hilflos hielt er ihm einen Spiegel vor den Mund, weil er gehört hatte, dass man das täte. Es erschreckte ihn, allein mit Cronshaw zu sein. Er hatte noch Hut und Mantel an und lief die Treppen hinunter auf die Straße; er hielt eine Droschke an und fuhr zur Harley Street. Dr.   Tyrell war zu Hause.
    »Wäre es Ihnen wohl möglich, sofort mitzukommen? Ich glaube, Cronshaw ist tot.«
    »Wenn das stimmt, hat mein Kommen wohl eigentlich wenig Sinn.«
    »Ich wäre Ihnen unsagbar dankbar, wenn Sie mitkämen. Ich habe die Droschke vor der Tür warten lassen. Es dauert nur eine halbe Stunde.«
    Tyrell setzte sich den Hut auf. Im Wagen stellte er ihm eine oder zwei Fragen.
    »Es schien ihm nicht schlechter zu gehen als sonst, als ich heute früh gegangen bin«, sagte Philip. »Es hat mir einen schrecklichen Schock versetzt, als ich eben hineinging. Und der Gedanke, dass er so ganz allein gestorben ist… Glauben Sie, dass er gewusst hat, dass er stirbt?«
    Philip dachte an das, was Cronshaw ihm gesagt hatte. Ob er wohl im letzten Augenblick von dem Entsetzen vor dem Tod gepackt worden war? Philip versetzte sich in Gedanken in seine Lage, mit dem Bewusstsein des Unvermeidlichen und mit niemandem, keiner Menschenseele um sich, die ihm in der letzten Angst ein tröstendes Wort schenkte.
    »Es scheint Sie sehr mitzunehmen«, sagte Dr.   Tyrell.
    Er schaute ihn mit seinen hellen blauen Augen an. Verständnis war darin zu erkennen. Als er Cronshaw sah, sagte er:
    »Er muss schon etliche Stunden tot sein. Ich glaube fast, er ist im Schlaf gestorben. Das kommt vor.«
    Der Körper sah zusammengeschrumpft und unwürdig aus. Es war nichts mehr Menschliches an ihm. Dr.   Tyrell betrachtete ihn gleichmütig. Mit einer mechanischen Geste zog er seine Taschenuhr heraus.
    »Also, es ist Zeit, dass ich gehe. Ich schicke den Totenschein herüber. Sie werden sich wahrscheinlich mit den Verwandten in Verbindung setzen.«
    »Ich glaube, er hat keine«, entgegnete Philip.
    »Und die Beerdigung?«
    »Das werde ich schon erledigen.«
    Dr.   Tyrell sah Philip mit einem Blick an. Er fragte sich, ob er ihm wohl etwas Geld zur Hilfe anbieten sollte. Er kannte Philips Verhältnisse nicht; vielleicht konnte er sich die Ausgabe leisten. Philip könnte es vielleicht als aufdringlich empfinden, wenn er es erwähnte.
    »Gut, lassen Sie mich wissen, wenn ich irgendetwas tun kann«, sagte er.
    Philip und er gingen zusammen, sie trennten sich am Hauseingang. Philip ging zum Telegrafenbüro, um Leonard Upjohn Mitteilung zu machen. Dann begab er sich zu einem Bestatter, an dessen Laden er täglich vorbeikam, wenn er ins Hospital ging. Der Laden hatte oft seine Aufmerksamkeit angezogen durch drei Worte, Silber auf schwarzem Tuch, die zusammen mit zwei Mustersärgen das Schaufenster schmückten: Sparsamkeit, Schnelligkeit, Schicklichkeit. Sie hatten ihn stets belustigt. Der Leichenbestatter war ein Jude mit krausem, schwarzem Haar, das lang und fettig um den Kopf stand. Er war ganz in Schwarz, mit einem großen Diamantenring an einem dicken Finger. Er empfing Philip mit einer merkwürdigen Mischung aus natürlicher Lebhaftigkeit, die seiner Veranlagung entsprach, und der gedämpften Miene, die sein Beruf verlangte. Er erkannte sofort, dass Philip ziemlich hilflos war, und versprach, eine Frau hinzuschicken, die alles Nötige erledigen würde. Seine Vorschläge für die Beerdigung waren prunkhaft, und Philip schämte sich, weil der Bestatter seine Einwände dagegen geizig finden könnte. Es war schrecklich, um solche Sachen zu feilschen, und schließlich willigte Philip ein, einen Preis zu zahlen, den er sich eigentlich nicht leisten konnte.
    »Ich verstehe Sie ganz und gar, mein Herr«, sagte der Bestatter. »Sie wollen keine Parade daraus machen oder so etwas – ich selbst mag solche Schaustellungen auch nicht, wissen Sie; aber Sie wollen es nobel erledigt haben. Überlassen Sie es nur mir. Ich mache es so billig, wie es nur geht, so wie es recht und schicklich ist. Mehr kann ich nicht sagen, nicht wahr?«
    Philip ging nach Hause, um zu Abend zu essen. Während er aß, erschien die Frau, die die

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