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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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Mittelmäßigkeit.«
    Philip wurde ein wenig rot, aber er antwortete nicht. Am nächsten Tag folgten er und Upjohn in der einen Kutsche, die Philip bestellt hatte, dem Leichenwagen. Lawson konnte nicht kommen und hatte einen Kranz geschickt, und Philip hatte noch ein paar Kränze dazugekauft, damit der Sarg nicht zu verlassen aussah. Auf dem Rückweg trieb der Kutscher die Pferde an. Philip war hundemüde und schlief sofort ein. Er wurde von Upjohns Stimme geweckt.
    »Es ist eigentlich ein glücklicher Zufall, dass die Gedichte noch nicht erschienen sind. Ich glaube, wir halten sie am besten noch ein wenig zurück, und ich schreibe ein Vorwort. Ich habe, als wir zum Kirchhof fuhren, darüber nachgedacht. Ich glaube, ich kann etwas recht Gutes daraus machen. Auf alle Fälle werde ich erst einmal einen Artikel für The Saturday schreiben.«
    Philip behielt die Monatsmagazine im Auge, und wenige Wochen darauf erschien er. Der Artikel machte erhebliches Aufsehen, und viele Zeitungen druckten Auszüge davon nach. Es war ein sehr guter Aufsatz: Das Biographische war unbestimmt gehalten, denn niemand wusste viel von Cronshaws früherem Leben; aber alles war feinsinnig, gefühlvoll und malerisch. Leonard Upjohn zeichnete in seinem umständlichen Stil reizende Szenen aus Cronshaws Leben im Quartier Latin, wie er Gedichte schrieb und erzählte: Cronshaw wurde zu einer pittoresken Figur, einem englischen Verlaine. Leonard Upjohns farbige Phrasen nahmen eine flackernde Feierlichkeit, ein geschwollenes Pathos an, als er das jämmerliche Ende beschrieb, das schäbige Zimmerchen in Soho, und die Versuche, die er unternommen, um den Dichter in irgendein Häuschen zu transportieren, geißblattumwunden, inmitten eines blühenden Obstgartens. Voller Zurückhaltung war diese Beschreibung, ganz reizend; man konnte wohl sehen, dass er großmütigeren Anteil an allem gehabt hatte, als er jetzt in seiner Bescheidenheit eingestehen mochte. Und stattdessen hatte jemand aus mangelndem Verständnis, wohlmeinend natürlich, aber ach, so taktlos, den Poeten in die gemeine Respektierlichkeit von Kennington geholt. Leonard Upjohn beschrieb Kennington mit dem verhaltenen Humor, den die strenge Ergebenheit an das Vokabular von Sir Thomas Browne verlangte. Mit zartem Sarkasmus berichtete er über die letzten Wochen: Mit welcher Geduld Cronshaw die wohlmeinende Ungeschicklichkeit eines jungen Studenten, der sich selbst zu seinem Pfleger erklärt hatte, ertrug, und er schilderte, wie erbarmungswürdig der göttliche Vagabund in diesen hoffnungslos kleinbürgerlichen Verhältnissen gesteckt hatte. »Schönheit aus der Asche«, zitierte er aus dem Buch Jesaja. Es war ein Triumph der Ironie, dass der verstoßene Poet in den Fängen der gemeinen Respektierlichkeit sterben musste. Es erinnerte Leonard Upjohn an Christus unter den Pharisäern, und diese Analogie ermöglichte ihm eine ausgezeichnete Passage. Und dann erzählte er, wie ein Freund – sein guter Geschmack konnte es nicht ertragen, mehr als nur subtil anzudeuten, wer der Freund mit solch anmutiger Phantasie war – einen Lorbeerkranz auf des toten Dichters Herz gelegt hatte; und die schönen toten Hände hatten mit sinnlicher Leidenschaft auf Apollos Blättern zu ruhen geschienen, wohlriechend von dem Wohlgeruch der Kunst und grüner als Jade, die von braungebrannten Matrosen aus dem vielfältigen und unerklärlichen China gebracht wird. Und so schloss der Artikel mit einer Beschreibung der kleinbürgerlichen, mittelmäßigen, prosaischen Beerdigung dieses Menschen, der wie ein Fürst oder aber wie ein Armer hätte zu Grabe getragen werden müssen. Das war der letzte Schlag, der Sieg des Philistertums über Kunst, Schönheit und Geist.
    Es war das Beste, was Leonard Upjohn je geschrieben hatte. Es war ein Wunderwerk an Charme, Grazie und Mitgefühl. Er druckte die besten Gedichte fast vollständig mit seinem Aufsatz ab, so dass der eigentliche Reiz des Buches schon weg war, als der Band erschien; aber seine eigene Position förderte er dadurch sehr. Von jetzt an wurde er als ein Kritiker angesehen, mit dem man rechnen musste. Vorher hatte er immer ein bisschen distanziert gewirkt. Aber in diesem Aufsatz war etwas warm Menschliches, das ungeheuer anziehend war.
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    Nachdem er die chirurgische Praktikantenzeit in der ambulanten Abteilung beendet hatte, wurde Philip im Frühjahr in die stationäre Abteilung übernommen. Er musste jeden Vormittag zusammen mit dem Anstaltsarzt in die Krankensäle

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