Der Menschen Hoerigkeit
der Vorgesetzten zur Stelle sein zu müssen, und es ließ sich mit ihrer Würde nicht vereinbaren, noch einmal Dienstkleidung zu tragen. Sie hatte den Nachbarn, die sie kannte, erzählt, dass sie in guten Verhältnissen lebten, und es wäre eine Blamage, wenn diese hörten, dass sie arbeiten musste. Ihre angeborene Trägheit machte sich geltend. Sie wollte Philip nicht verlassen, und solange er für sie sorgte, wusste sie nicht, warum sie es tun sollte. Sie durfte kein Geld vergeuden, aber sie hatte Kost und Quartier. Sein Onkel war ein alter Mann und würde eines Tages sterben, dann würde er eine kleine Erbschaft machen, und sogar die augenblickliche Lage war besser, als sich von morgens bis abends für ein paar Shilling wöchentlich abzurackern. Ihre Anstrengungen ließen nach; sie las zwar weiterhin die Stellenanzeigen in der Zeitung, um zu demonstrieren, dass sie bereit wäre, eine Arbeit anzunehmen, wenn sie eine fände, die es wert war. Aber dann ergriff sie wieder Panik, und sie fürchtete, dass Philip genug davon kriegen könnte, für sie zu sorgen. Sie hatte jetzt keinen Einfluss mehr auf ihn, und sie bildete sich ein, dass er ihr nur zu bleiben erlaubte, weil er das Kind so gern hatte. Sie brütete über all dem, und dachte zornig, dass sie ihm eines Tages all dies heimzahlen würde. Sie konnte sich mit der Tatsache, dass er nichts mehr für sie empfand, nicht abfinden. Sie würde das ändern. Sie fühlte sich in ihrem Stolz getroffen, und manchmal begehrte sie Philip sogar auf eigenartige Weise. Es ärgerte sie, dass er jetzt so kalt zu ihr war. Unaufhörlich musste sie an ihn denken. Sie war der Ansicht, dass er sie schlecht behandelte, und sie wusste nicht, womit sie das verdient hatte. Sie sagte sich immer wieder, dass es unnatürlich sei, so zusammenzuleben. Dann kam ihr der Gedanke, dass alles anders wäre, wenn sie ein Kind erwartete; dann würde er sie sicher heiraten. Er war ein seltsamer Kauz, aber er war ein Gentleman im jedem Sinn des Wortes, das konnte man nicht leugnen. Schließlich wurde es zu einer fixen Idee, und sie nahm sich vor, eine Änderung ihrer Beziehungen herbeizuführen. Er küsste sie nun nicht einmal mehr, aber sie sehnte sich danach; sie erinnerte sich, wie heiß er seine Lippen an die ihren gepresst hatte. Es war ein merkwürdiges Gefühl, daran zu denken. Oft betrachtete sie seinen Mund.
Eines Abends, Anfang Februar, sagte ihr Philip, dass er zum Abendessen zu Lawson gehe, der Geburtstag habe und in seinem Atelier eine kleine Feier veranstalte. Er würde spät nach Hause kommen. Lawson habe ein paar Flaschen Punsch aus der Taverne in der Beak Street besorgt, und so wollten sie sich einen vergnügten Abend machen. Mildred fragte, ob auch Frauen dort sein würden, aber er sagte nein, es wären nur Männer eingeladen, und man würde beisammensitzen, sich unterhalten und rauchen. Mildred hielt das nicht gerade für sehr unterhaltsam; sie würde, wenn sie ein Maler wäre, ein halbes Dutzend schöne Modelle um sich haben. Sie legte sich ins Bett, fand jedoch keinen Schlaf. Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Sie erhob sich wieder und schob den Riegel der Wohnungstür vor. Philip kam gegen ein Uhr zurück, und sie hörte ihn fluchen, weil er nicht aufmachen konnte. Sie stand auf und öffnete ihm.
»Wie kommst du denn dazu, dich einzuschließen? Es tut mir leid, dass ich dich aus dem Bett holen muss.«
»Ich habe die Tür bewusst unverriegelt gelassen. Ich habe keine Ahnung, wieso sie zu ist.«
»Marsch ins Bett, sonst erkältest du dich noch.«
Er ging ins Wohnzimmer und steckte die Gaslampe an. Sie folgte ihm und ging zum Kamin.
»Ich möchte mir nur ein bisschen die Füße wärmen; sie sind wie Eisklumpen.«
Er setzte sich hin und zog die Schuhe aus. Seine Augen leuchteten, und seine Wangen glühten. Sie glaubte, dass er viel getrunken hatte.
»Hast du dich gut amüsiert?«, fragte sie lächelnd.
»Ja, es war ein wunderbarer Abend.«
Philip war völlig nüchtern, aber er hatte viel geredet und viel gelacht und war davon noch ganz erregt. Solch ein Abend erinnerte ihn an alte Zeiten in Paris. Er war guter Laune. Er nahm die Pfeife aus der Tasche und stopfte sie.
»Gehst du nicht zu Bett?«, fragte sie.
»Noch nicht gleich. Ich bin gar nicht schläfrig. Lawson war in Form; er hat von dem Moment an, als wir kamen, bis zuletzt nur so drauflosgeredet.«
»Worüber habt ihr denn geredet?«
»Das weiß der liebe Gott! Über alles und jedes. Du hättest das mit ansehen sollen:
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