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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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erledigt sein. Das war auch Macalisters Meinung. Er hatte Philip gesagt, dass sie jetzt die Gelegenheit wahrnehmen und die Aktien kurz vor Friedensschluss kaufen mussten. Dann würde sicherlich eine ziemliche Konjunktur einsetzen, und – man kann nie wissen – vielleicht würde für sie alle ein bisschen Geld abfallen. Philip hatte Macalister Weisung gegeben, Aktien zu kaufen, sowie sich eine gute Gelegenheit bot. Er hatte durch die dreißig Pfund, die er im Sommer gewonnen hatte, Blut geleckt und wollte jetzt gern ein paar Hunderter verdienen.
    Er erledigte seine Arbeit und fuhr mit der Elektrischen nach Kennington zurück. Wie Mildred sich wohl heute Abend benehmen würde? Wie lästig, dass sie wahrscheinlich beleidigt sein und jede Antwort auf seine Fragen verweigern würde. Es war für die Jahreszeit ein warmer Abend, und selbst in den grauen Straßen Süd-Londons war etwas von der sehnsüchtigen Februarstimmung zu spüren. Die Natur ist dann nach den langen Wintermonaten voller Unruhe; keimende Dinge erwachen aus ihrem Schlaf; die Erde beginnt sich zu regen – Vorahnung des Frühlings – und nimmt ihr ewiges Treiben wieder auf. Philip wäre gern noch weitergefahren; es war ihm unangenehm, in seine Wohnung zurückzukehren; er sehnte sich nach Luft. Aber der Wunsch, das Kind zu sehen, überfiel ihn plötzlich, und er musste innerlich lächeln, wenn er sich vorstellte, wie die Kleine mit quietschender Freude auf ihn zutrappelte. Er war überrascht, dass kein Fenster erhellt war, als er vor dem Haus ankam und mechanisch hinaufsah. Er ging nach oben und klopfte; aber niemand antwortete. Wenn Mildred ausging, ließ sie gewöhnlich die Schlüssel unter der Fußmatte; dort fand er sie auch jetzt. Er schloss auf und zündete ein Streichholz an, als er ins Wohnzimmer trat. Etwas war geschehen; er konnte nicht sofort sagen, was es war. Er drehte den Gashahn auf und zündete die Lampe an. Das grelle Licht erfüllte das Zimmer, und er sah sich um. Ihm stockte der Atem. Der ganze Raum war ein einziges Chaos. Alles, was darin war, war mutwillig zerstört worden. Wut ergriff ihn, und er rannte in Mildreds Zimmer. Es war dunkel und leer. Als er Licht gemacht hatte, sah er, dass sie ihre eigenen und die Sachen des Kindes fortgebracht hatte (schon als er ins Haus trat, war ihm aufgefallen, dass der Kinderwagen nicht dastand; er hatte aber gedacht, Mildred wäre mit der Kleinen ein bisschen ausgegangen). Alle Gegenstände auf dem Waschtisch waren zerbrochen; mit einem Messer hatte sie die Stuhlsitze kreuzweise aufgeschnitten; das Kissen war aufgeschlitzt; der Spiegel augenscheinlich mit einem Hammer zertrümmert worden. Philip war völlig verwirrt. Er ging in sein eigenes Zimmer, und auch hier herrschte Chaos. Waschbecken und Eimer waren zerschlagen, der Spiegel in Scherben und die Bettdecken in Fetzen. Mildred hatte das Kissen weit genug aufgeschlitzt, um mit der Hand hineingreifen zu können, und hatte die Federn im Zimmer verstreut. In die Wolldecken hatte sie ein Messer gebohrt. Auf dem Ankleidetisch standen Fotografien von Philips Mutter; die Rahmen waren zerbrochen, das Glas zersplittert. Philip ging in die kleine Küche hinaus. Alles, was zerbrechen konnte, war zerbrochen: Gläser, Puddingformen, Schüssel und Teller.
    Philip stockte der Atem. Mildred hatte keinen Brief hinterlassen – nichts als dieses Chaos als Zeichen ihrer Wut. Er konnte sich bildhaft vorstellen, wie sie mit hartem, entschlossenem Gesicht gearbeitet hatte. Er ging in das Wohnzimmer zurück und sah sich um. Er war so überrascht, dass er nicht einmal mehr böse sein konnte. Neugierig besah er sich das Küchenmesser und den Hammer, mit dem sonst die Kohlen zerkleinert wurden; sie lagen noch so auf dem Tisch, wie sie sie hingeworfen hatte. Dann fiel sein Blick auf ein großes Vorlegemesser, das zerbrochen im Kamin lag. Sie musste lange gebraucht haben, um so viel Unheil anzurichten. Sein Porträt, von Lawson gemalt, war kreuzweise aufgeschlitzt und klaffte hässlich auseinander. Seine eigenen Zeichnungen waren zerrissen; und die Fotografien: Manets Olympia und die Odalisque von Ingres sowie das Porträt Philipps IV. waren mit schweren Hammerschlägen zerstört. Das Tischtuch, die Gardinen und die beiden Lehnsessel wiesen klaffende Wunden auf. Sie waren völlig hinüber. An der Wand über dem Tisch, den Philip als Schreibtisch benutzt hatte, hing das Stückchen des persischen Teppichs, das ihm Cronshaw geschenkt hatte. Mildred hatte es von Anfang an

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