Der Menschen Hoerigkeit
Spannung zwischen ihnen ihren Höhepunkt. Mildred wurde durch Philips Verhalten zu äußerster Verbitterung getrieben. In ihrer Seele herrschten viele verschiedene Gefühlsregungen, und ihre Stimmung wechselte leicht. Sie verbrachte einen Großteil ihrer Zeit allein und brütete über ihre Lage nach. Sie konnte nicht alle ihre Gefühle in Worte fassen, sie wusste nicht einmal, welcher Art sie waren, aber in ihrem Bewusstsein hatten sich einige Dinge festgesetzt, und über diese dachte sie immer wieder nach. Sie hatte Philip nie verstanden und hatte ihn auch nie wirklich gemocht; aber es war ihr angenehm, ihn um sich zu haben, weil sie glaubte, er sei ein Gentleman. Sie war beeindruckt, weil sein Vater Arzt gewesen und sein Onkel ein Geistlicher war. Sie verachtete ihn ein wenig, weil er aus sich solch einen Narren gemacht hatte, und gleichzeitig war es ihr in seiner Gegenwart nie wohl in ihrer Haut; sie konnte sich nicht gehenlassen, denn sie fühlte, dass er ihre Manieren kritisierte.
Zu Beginn, als sie in die kleinen Räume in Kennington gezogen war, war sie übermüdet und beschämt gewesen. Sie war froh, allein gelassen zu werden. Es war für sie angenehm, keine Miete zahlen zu müssen; sie musste nicht bei jedem Wetter aus dem Haus gehen, und sie konnte ruhig im Bett bleiben, wenn sie sich nicht wohl fühlte. Sie hatte das Leben, das sie geführt hatte, gehasst. Es war schrecklich, umgänglich und unterwürfig sein zu müssen. Und sogar jetzt, als sie daran dachte, weinte sie vor Selbstmitleid, wenn sie sich an die Rohheit der Männer und ihre brutale Sprache erinnerte. Aber sie dachte selten daran. Sie war Philip dankbar, dass er sie daraus errettet hatte. Und wenn sie daran dachte, wie ehrlich er sie geliebt und wie schlecht sie ihn behandelt hatte, fühlte sie große Reue. Es wäre leicht, es ihm zu vergelten, es bedeutete ihr sehr wenig. Sie war erstaunt gewesen, dass er ihren Vorschlag zurückgewiesen hatte, aber sie zuckte nur mit den Achseln: Er sollte seine Launen ausleben, wenn er wollte, sie kümmerte sich nicht darum; in kurzer Zeit würde ihm sehr wohl daran liegen, aber dann würde sie sich weigern. Wenn er glaubte, dass es irgendein Verlust für sie wäre, irrte er sich. Sie zweifelte nicht an ihrer Macht über ihn. Er hatte seine Eigenheiten, aber sie kannte ihn durch und durch. Er hatte so oft mit ihr gestritten und geschworen, er würde sie nie wieder sehen, und nach einer Weile war er dann auf den Knien gerutscht gekommen und hatte um Vergebung gebeten. Sie erschauerte, wenn sie daran dachte, wie er vor ihr zu Kreuz gekrochen war. Er war schon froh gewesen, vor ihr im Staub zu liegen, damit sie auf ihn treten konnte. Sie hatte ihn weinen sehen. Sie wusste genau, wie man ihn behandeln musste, ihn ignorieren, einfach so tun, als würde man seine Launen nicht bemerken, ihn allein lassen, und nach einer Weile würde er dann sicher angekrochen kommen. Sie lachte bei sich, wenn sie daran dachte, wie er sich früher vor ihr gedemütigt hatte. Sie hatte ihre Abenteuer gehabt. Sie wusste, wie Männer waren, und sie hatte keine Lust, noch irgendetwas mit ihnen zu tun zu haben. Sie war durchaus bereit, sich mit Philip häuslich einzurichten. Schließlich war er ein Gentleman im wahrsten Sinne des Wortes, und das war nicht zu verachten, nicht wahr? Jedenfalls hatte sie keine Eile, und sie wollte nicht den ersten Schritt machen. Sie war froh, dass er stolz auf die Fortschritte des Kindes war, obwohl es sie einigermaßen belustigte, dass ihm das Kind eines anderen Mannes so viel bedeutete. Zweifellos hatte er seine Eigenheiten.
Aber einiges überraschte sie. Sie war an seine Unterwürfigkeit gewöhnt gewesen: In früheren Zeiten war er überglücklich gewesen, für sie etwas tun zu können. Eines schiefen Wortes wegen war er niedergeschlagen gewesen, eines freundlichen wegen war er in Verzückung geraten; jetzt war er anders, und sie sagte sich selbst, dass er sich im letzten Jahr nicht zum Besseren verändert hatte. Sie dachte keinen Augenblick daran, dass sich seine Gefühle geändert haben könnten, und sie hielt es nur für Verstellung, dass er ihrer schlechten Laune keine Aufmerksamkeit schenkte. Manchmal wollte er lesen und sagte ihr, sie solle ruhig sein; sie wusste nicht, ob sie aufbrausen oder schmollen sollte, und war so überrascht, dass sie dann beides bleiben ließ. Dann kam das Gespräch, in dem er ihr sagte, ihre Beziehungen sollten rein platonisch sein, und in Erinnerung an einen Vorfall in
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