Der Menschen Hoerigkeit
Alle schrien laut, und keiner hörte zu.«
Philip lachte voller Vergnügen bei der Erinnerung, und Mildred lachte ebenfalls. Sie war ziemlich sicher, dass er mehr getrunken hatte, als er vertragen konnte. Genau das hatte sie erwartet. Sie kannte sich mit Männern aus.
»Kann ich mich ein bisschen zu dir setzen?«, fragte sie.
Ehe er antworten konnte, ließ sie sich auf seinen Knien nieder.
»Wenn du nicht zu Bett gehen willst, zieh lieber einen Schlafrock an.«
»Ach, ich fühle mich wohl, so wie ich bin.« Dann legte sie ihm die Arme um den Hals, schmiegte ihr Gesicht an das seine und sagte: »Warum bist du so scheußlich zu mir, Phil?«
Er versuchte aufzustehen, aber sie ließ es nicht zu.
»Ich habe dich lieb, Philip«, sagte sie.
»Rede keinen solchen verdammten Unsinn!«
»Es ist kein Unsinn, es ist wahr. Ich kann nicht ohne dich leben. Ich will dich.«
Er befreite sich aus ihren Armen.
»Steh bitte auf. Es ist lächerlich, wie du dich benimmst, und ich komme mir wie ein regelrechter Idiot vor.«
»Ich liebe dich, Philip. Ich möchte alles gutmachen, was ich dir je an Schmerz zugefügt habe. Es kann so nicht weitergehen, es ist gegen die menschliche Natur.«
Er schlüpfte aus dem Lehnstuhl und ließ sie allein darin sitzen.
»Es tut mir sehr leid, aber es ist zu spät.«
Sie seufzte herzzerreißend.
»Aber wieso denn? Wie kannst du denn so grausam sein?«
»Wahrscheinlich habe ich dich zu sehr geliebt; die Leidenschaft hat sich verbraucht. Der Gedanke an so etwas lässt mich schaudern. Ich kann dich nicht mehr ansehen, ohne an Emil und Griffith zu denken. Man kann sich gegen so etwas nicht wehren. Es sind wohl einfach nur die Nerven.«
Sie ergriff seine Hand und bedeckte sie mit Küssen.
»Lass das!«, rief er.
Sie sank in den Stuhl zurück.
»Ich kann das nicht länger ertragen. Wenn du mich nicht mehr liebst, gehe ich lieber fort.«
»Red doch nicht so dummes Zeug; du hast nichts, wo du hingehen kannst. Du kannst hierbleiben, solange du willst, aber nur unter der Voraussetzung, dass wir Freunde sind und nichts weiter.«
Dann ließ sie plötzlich den Ton der Leidenschaft fallen und lachte weich und einschmeichelnd. Sie schmiegte sich an Philip und umschlang ihn mit ihren Armen. Ihre Stimme wurde leise und gurrend.
»Sei doch nicht so dumm. Ich glaube, du bist nervös. Du weißt gar nicht, wie nett ich sein kann.«
Sie legte ihr Gesicht an seines und rieb ihre Wangen an den seinen. Philip sah in dem Lächeln nur die ordinäre Anzüglichkeit, und das aufreizende Funkeln ihrer Augen erfüllte ihn mit Grauen. Er wich unwillkürlich zurück.
»Ich will nicht«, sagte er.
Aber sie ließ ihn nicht los. Sie suchte mit ihren Lippen seinen Mund. Er nahm ihre Hände und riss sie grob auseinander, dann stieß er sie fort.
»Du ekelst mich an«, sagte er.
»Ich?«
Sie hielt sich mit einer Hand am Kaminsims fest. Sie sah ihn einen Augenblick lang an, und zwei rote Flecken erschienen auf ihren Wangen. Sie lachte ein schrilles, böses Lachen.
»Ich ekle dich an.«
Sie stockte und zog scharf den Atem ein. Dann brach sie in einen wütenden Schwall von Schimpfworten aus. Sie schrie aus voller Kehle. Sie verfluchte ihn mit den gemeinsten Ausdrücken, die ihr nur einfielen. Sie gebrauchte so obszöne Wörter, dass Philip ganz starr war vor Staunen; sie hatte sich immer so viel Mühe gegeben, die feine Dame zu spielen, sie hatte sich bei jedem gröberen Wort verletzt gefühlt, dass es Philip nie in den Sinn gekommen wäre, solche Wörter könnten ihr überhaupt bekannt sein. Sie kam auf ihn zu und sah ihn mit vor Leidenschaft verzerrten Zügen an, von ihrem Ausbruch hingen ihr Speicheltropfen an den Lippen.
»Ich habe mir nie etwas aus dir gemacht, nicht einen Augenblick lang. Ich habe dich immer zum Narren gehalten, gelangweilt hast du mich, ja, tödlich gelangweilt, und ich habe dich gehasst; ich hätte mich nie von dir anfassen lassen, wäre es nicht wegen des Geldes gewesen. Übel geworden ist mir von deinen Küssen. Ausgelacht haben wir dich, Griffith und ich, dich ausgelacht, weil du ein Hampelmann bist. Ein Hampelmann, ein Hampelmann!«
Wieder brach sie in abscheuliche Schmähungen aus. Sie beschuldigte ihn jeglicher Gemeinheit: Sie sagte, er wäre geizig, sie sagte, er wäre langweilig, eitel und selbstsüchtig. Sie übergoss alles, was ihm etwas wert war, mit bitterem Hohn. Und dann wandte sie sich zum Gehen. Noch immer schrie sie ihn mit hysterischer Heftigkeit an und beschimpfte ihn in
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