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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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geben.
    »Mrs.   Foster ist allein, und sie braucht eine Frau. Sie verstehen, nicht wahr? Vielleicht ist er schon tot.«
    Der Leichenbestatter nickte.
    »Ja, ich verstehe. Ich will gleich jemanden schicken.«
    Als Philip zum Pfarrhaus zurückkehrte, ging er ins Schlafzimmer. Mrs.   Forster stand von ihrem Sessel neben dem Bett auf.
    »Er ist unverändert.«
    Sie ging hinunter, um sich etwas zu essen zu holen, und Philip beobachtete neugierig den Sterbeprozess. Es war nichts Menschliches mehr in dem bewusstlosen Wesen, das dort noch schwach kämpfte. Manchmal murmelte der lose hängende Mund noch einen Stoßseufzer. Die Sonne stach vom wolkenlosen Himmel herab, aber die Bäume im Garten verbreiteten eine angenehme Kühle. Es war ein lieblicher Tag. Eine Schmeißfliege surrte an der Fensterscheibe. Plötzlich ertönte ein lautes Geröchel; Philip fuhr auf, es hörte sich grauenhaft an. Eine Bewegung fuhr durch die Glieder des Greises – er war tot. Die Maschine stand still. Die Schmeißfliege surrte und surrte lärmend an der Fensterscheibe.
    112
     
    Josiah Graves traf auf seine meisterhafte Art die Vorbereitungen zur Beerdigung: sparsam, aber würdig. Nach der Beisetzung ging er mit Philip in das Pfarrhaus. Ihm war das Testament anvertraut worden, und er las es Philip nun mit dem ihm eigenen Sinn für das, was sich in dem jeweiligen Moment schickt, bei einer Tasse Tee vor. Es war auf einem halben Blatt Papier geschrieben und vermachte alles, was verblieb, Mr.   Careys Neffen. Da waren die Möbel, etwa achtzig Pfund auf der Bank, zwanzig Aktien der ABC -Gesellschaft, einige der Allsops-Brauerei, einige der Oxforder Musikhalle und noch ein paar andere eines Londoner Restaurants. Sie waren unter Anleitung von Mr.   Graves erworben worden, und dieser sagte nun befriedigt:
    »Wissen Sie, die Menschen müssen immer etwas zu essen, zu trinken und zum Vergnügen haben. Es ist stets das Sicherste, wenn man sein Geld in Unternehmen anlegt, die die Allgemeinheit für notwendig hält.«
    Seine Worte spiegelten seine feine Unterscheidung zwischen der Grobheit des gemeinen Volks, die er missbilligte, aber akzeptierte, und dem erlesenen Geschmack der Distinguierten. Jedenfalls waren etwa fünfhundert Pfund in Aktien angelegt; hinzu kamen der Rest auf der Bank und der Ertrag für die Möbel. Für Philip waren es Reichtümer. Er fühlte sich nicht glücklich, aber unendlich erleichtert.
    Mr.   Graves ging fort, nachdem sie die Auktion besprochen hatten, die so bald wie möglich abgehalten werden sollte. Philip setzte sich hin, um die Papiere des Verstorbenen durchzusehen. Reverend William Carey hatte sich immer gebrüstet, dass er nichts vernichte, und so fanden sich ganze Stapel von Briefen, die über fünfzig Jahre zurückreichten, und säuberlich gebündelte Rechnungen. Er hatte nicht nur die Briefe aufbewahrt, die er bekam, sondern auch die, die er selbst geschrieben hatte. Da war ein gelbes Paket von Briefen, die er seinem Vater in den vierziger Jahren geschrieben hatte, als er als Student während der Sommerferien nach Deutschland gefahren war. Philip las sie gelangweilt. Es war ein anderer William Carey als der, den er gekannt hatte, und doch fanden sich in dem Jungen schon Spuren, die einen genauen Beobachter den Mann hätten ahnen lassen können. Die Briefe waren förmlich und ein wenig stilisiert. Er war emsig bemüht, sich alles anzusehen, was sehenswert war, und er beschrieb mit heller Begeisterung die Rheinschlösser. Der Rheinfall bei Schaffhausen gab ihm Gelegenheit, ›dem allmächtigen Schöpfer der Welt zu danken, dessen Werke wunderbar und schön sind‹, und er musste daran denken, dass die Menschen angesichts ›dieses Werkes ihres gelobten Schöpfers angeregt werden müssten, ein reines und heiliges Leben zu führen‹.
    Unter den Rechnungen entdeckte Philip eine Miniatur, die den jungen William Carey gleich nach seiner Priesterweihe darstellte. Da stand ein junger, schmaler Hilfsgeistlicher; das lange Haar fiel ihm in Locken über den Kopf; große, dunkle Augen sahen verträumt aus dem asketisch bleichen Gesicht. Philip fiel ein, wie sein Onkel zu lachen pflegte, wenn er von den Dutzenden von Hausschuhen erzählte, die ihm seine Verehrerinnen gemacht hatten.
    Philip wühlte sich den restlichen Nachmittag und den ganzen Abend durch die zahllose Korrespondenz. Zumeist warf er nur einen Blick auf Adresse und Absender, riss den Brief dann entzwei und warf ihn in den Wäschekorb neben ihm. Plötzlich fiel ihm

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