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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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Hinterlassenschaft seines Onkels abzuwickeln. Die Auktion wurde auf Mitte August anberaumt, wenn die vielen Feriengäste darauf hoffen ließen, höhere Preise zu erzielen. Kataloge wurden aufgestellt und an Antiquariate in Tercanbury, Maidstone und Ashford gesandt.
    Eines Nachmittags bekam Philip Lust, nach Tercanbury hinüberzufahren und seine alte Schule zu besuchen. Er war nicht mehr dort gewesen, seit er sie mit erleichtertem Herzen und dem Gefühl verlassen hatte, dass er von nun an sein eigener Herr sein würde. Es war seltsam, so durch die engen Straßen von Tercanbury zu wandern, die er lange Jahre hindurch so gut gekannt hatte. Er besah sich die alten Läden, die es noch immer gab, die noch immer die gleichen Dinge verkauften: die Buchhandlungen, die in einem Fenster Schulbücher, fromme Werke und die neuesten Romane ausstellten, im andern Fotografien der Kathedrale und der Stadt; das Sportgeschäft mit seinen Kricketschlägern, Angelruten, Tennisraketts und Fußbällen; der Schneider, von dem er seine ganze Jugend hindurch die Anzüge bekommen hatte; und das Fischgeschäft, bei dem sein Onkel, wenn er in Tercanbury war, stets Fische gekauft hatte. Er wanderte durch die schäbigen Straßen, in denen hinter einer Mauer versteckt die Vorbereitungsschule, ein rotes Klinkerhaus, lag. Ein Stückchen weiter war die Pforte, die in die Kings School führte; er blieb auf dem Platz stehen, um den die verschiedenen Gebäude lagen. Es war gerade vier Uhr, und die Knaben strömten aus der Schule. Er sah die Lehrer in ihren Gewändern und den flachen, viereckigen Kopfbedeckungen; sie kamen ihm ganz fremd vor. Zehn Jahre war es nun schon her, seit er von hier fortgegangen war, und vieles hatte sich inzwischen verändert. Er sah den Direktor, er ging langsam vom Schulhaus zu seinem Wohnhaus hinüber. Er sprach mit einem Knaben, der wie ein Sextaner aussah. Der Schulleiter selbst hatte sich kaum verändert: Er war schlank, leichenblass und romantisch, genau wie Philip ihn in Erinnerung behalten hatte; noch immer dieselben wilden Augen, der schwarze Bart zeigte jedoch nun graue Streifen, und das dunkle, bleiche Gesicht war von tiefen Furchen durchzogen. Philip wäre gern zu ihm gegangen, um mit ihm zu sprechen; aber er hatte Angst, dass der Leiter ihn vergessen haben könnte, und scheute sich davor, erst erklären zu müssen, wer er sei.
    Die Jungen standen schwatzend herum. Bald darauf kamen andere, die sich schnell umgezogen hatten, und spielten Ball. Wieder andere gingen zum Tor hinaus, und Philip wusste: Sie gingen nun zu den Kricketplätzen. Philip stand unter ihnen als ein Fremder. Der eine oder andere warf ihm einen gleichgültigen Blick zu; Besucher waren jedoch der alten, sehenswerten Treppe wegen keine Seltenheit und erregten nur geringe Aufmerksamkeit. Philip sah den Jungen neugierig zu. Voller Wehmut dachte er an die Jahre, die sie voneinander trennten. Bittere Gedanken kamen ihm, wenn er daran dachte, wie viel er hatte schaffen wollen und wie wenig er in Wirklichkeit erreicht hatte. Es kam ihm vor, als wären alle diese Jahre, die unwiderruflich verloren waren, nutzlos vergeudet. Die Jungen hier taten frisch und fröhlich das Gleiche, was er getan hatte, als wäre kein Tag vergangen, seit er die Schule verlassen hatte, und nun war ihm hier, wo er wenigstens dem Namen nach jeden gekannt hatte, keine Menschenseele mehr vertraut. In ein paar Jahren würden auch sie hier stehen – Fremde wie er jetzt, und andere würden ihren Platz einnehmen. Aber in dieser Überlegung lag kein Trost: Sie unterstrich nur die Sinn- und Zwecklosigkeit des menschlichen Daseins. Jede Generation wiederholte diesen bedeutungslosen Kreislauf. Er fragte sich, was wohl aus den Jungen geworden sein mochte, die damals seine Kameraden gewesen waren. Sie waren jetzt fast dreißig Jahre alt, einige wahrscheinlich tot, andere verheiratet; sie hatten Kinder, sie waren Soldaten, Geistliche, Ärzte, Rechtsanwälte; sie waren gestandene Männer, die anfingen, die Jugend hinter sich zu lassen. Hatte wohl sonst noch jemand ein solches Durcheinander aus seinem Leben gemacht wie er? Er dachte an den Knaben, dem er so sehr zugetan gewesen war; er konnte sich des Namens nicht entsinnen. Er erinnerte sich ganz genau, wie er aussah. Es war sein bester Freund gewesen; aber der Name fiel ihm nicht ein. Mit Belustigung erinnerte er sich an die Eifersucht, die er seinetwegen gelitten hatte. Es ärgerte ihn, dass ihm sein Name nicht mehr einfallen wollte. Er

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