Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
Vom Netzwerk:
Zimmer befand sich im obersten Stock und ging in den Hinterhof hinaus. Man sah nur dunkle Wolken. Die Stille war schwer von Verzweiflung. Philip fühlte, dass er nichts sagen konnte, es blieb ihm nur zu gehen; und als er sie müde verließ, denn er war die ganze Nacht über wach gewesen, war sein Herz voll Zorn über die Grausamkeit dieser Welt. Er wusste um die Hoffnungslosigkeit, wieder Arbeit zu finden, und um die Trostlosigkeit, die schwerer zu ertragen ist als Hunger. Er war froh, nicht an Gott zu glauben, denn dann wären solche Lebensbedingungen unerträglich; man konnte sich mit der Existenz nur abfinden, weil sie bedeutungslos war.
    Es schien Philip, dass sich die Leute, die ihre Zeit darauf verwendeten, den armen Klassen zu helfen, irrten, weil sie Abhilfe schaffen wollten für Dinge, die sie selbst quälen würden, wenn sie sie ertragen müssten, ohne zu bedenken, dass sie diejenigen, die daran gewöhnt sind, gar nicht stören. Die armen Leute wollten keine großen, luftigen Zimmer; sie litten unter der Kälte, weil ihr Essen nicht nahrhaft genug war und weil ihr Kreislauf nicht in Ordnung war; ein großer Raum wäre ihnen zu kalt, sie wollten so wenig Kohle wie möglich verbrauchen; für sie war es keine Mühsal, wenn mehrere Leute in einem Zimmer schliefen, sie zogen das sogar vor; sie waren nie einen Augenblick lang allein – von der Geburt bis zum Tod; Einsamkeit bedrückte sie; sie genossen das Durcheinander, in dem sie lebten, und den ständigen Lärm ihrer Umgebung, der an ihre Ohren drang, nahmen sie gar nicht mehr wahr. Ein tägliches Bad war ihnen kein Bedürfnis, und Philip hörte sie oft, wenn sie ins Krankenhaus kamen, empört darüber sprechen, dass sie baden mussten: Es war für sie sowohl eine Beleidigung als eine Unbequemlichkeit. Sie wollten vor allem in Ruhe gelassen werden; wenn der Mann seine regelmäßige Arbeit hatte, war das Leben leicht und nicht ohne Annehmlichkeiten: Man hatte genug Zeit für einen Klatsch; nach der Arbeit schmeckte ein Glas Bier; die Straßen waren eine ständige Quelle der Unterhaltung; wenn man lesen wollte, gab es den Reynold’s oder die News of the World.
    Es war üblich, nach einer Entbindung drei Krankenbesuche zu machen, und als Philip eines Sonntags zur Mittagsstunde zu einer Patientin kam, war sie gerade dabei, zum ersten Mal aufzustehen.
    »Ich konnte nicht länger im Bett bleiben, wirklich nicht. Ich bin nicht fürs Faulenzen, und es macht mich nervös, den ganzen Tag herumzuliegen; daher sagte ich zu Herb, ich stehe nur ein wenig auf und koche dir dein Essen.«
    Herb saß am Tisch, Messer und Gabel hatte er bereits in der Hand. Er war ein junger Mann mit einem offenen Gesicht und blauen Augen. Er verdiente ganz gut, und das Ehepaar lebte ohne Sorgen. Sie waren erst seit wenigen Monaten verheiratet und waren glücklich über den rosigen Jungen, der am Fuß des Bettes in seiner Wiege lag. Im Zimmer roch es angenehm nach Beefsteak, und Philip blickte zum Herd.
    »Das Essen ist gerade fertig«, sagte die Frau.
    »Nur zu, ich will mir nur den Sohn und Erben ansehen«, sagte Philip. »Dann mache ich mich wieder aus dem Staub.«
    Mann und Frau lachten über Philips Ausdruck, und Herb ging mit Philip zur Wiege hinüber. Stolz sah er auf sein Baby.
    »Es geht ihm offenbar nicht schlecht, nicht wahr?«, sagte Philip.
    Er nahm seinen Hut, und gleichzeitig servierte Herbs Frau das Beefsteak und dazu einen Teller Erbsen.
    »Sie bekommen ein gutes Essen«, sagte Philip.
    »Er ist nur am Sonntag hier, und da möchte ich ihm immer irgendetwas Besonderes machen, damit er sein Heim vermisst, wenn er bei der Arbeit ist.«
    »Ich nehme nicht an, dass Sie sich setzen und mit uns essen würden«, sagte Herb.
    »O Herb«, sagte die Frau in erschrockenem Ton.
    »Nur, wenn Sie mich darum bitten«, antwortete Philip mit seinem gewinnenden Lächeln.
    »Das nenne ich nett; ich wusste, er würde nicht beleidigt sein, Polly. Bring noch einen Teller, mein Mädchen.«
    Polly war verwirrt und dachte: ›Bei Herb muss man vorsichtig sein, denn man weiß nie, auf welche Idee er im nächsten Moment kommt‹; aber sie nahm einen Teller, wischte ihn schnell mit der Schürze ab und holte dann Messer und Gabel aus dem Schubladenkasten, wo ihr schönes Besteck zwischen ihren schönen Kleidern lag. Ein Krug Bier stand auf dem Tisch, und Herb schenkte Philip ein Glas ein. Er wollte ihm das größte Stück Beefsteak geben, doch Philip bestand darauf, dass alle gleich viel bekamen. Sie saßen

Weitere Kostenlose Bücher