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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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Brutalität), und er sollte eine Stelle in einem sehr angenehmen Bezirk bekommen, sobald die verschiedenen Versprechungen, die ihm gegeben worden waren, eingelöst wurden: In der Zwischenzeit ging er häufig in die Oper und lernte einen kleinen Kreis reizender Menschen kennen, die die gleichen Dinge bewunderten wie er. Er trat in einen Klub ein, dessen Motto lautete: Das Ganze, das Gute, das Schöne. Er schloss eine platonische Freundschaft mit einer Dame, die um ein paar Jahre älter war als er und am Kensington Square wohnte; beinahe jeden Nachmittag trank er bei ihr Tee bei gedämpftem Kerzenlicht und sprach von George Meredith und Walter Pater. Es war allgemein bekannt, dass jeder Esel die Advokatenprüfung bestehen konnte, und Hayward strengte sich mit seinen Studien nicht sonderlich an. Als er durchfiel, fasste er es als persönliche Beleidigung auf. Zur gleichen Zeit teilte ihm die Dame vom Kensington Square mit, dass demnächst ihr Gatte aus Indien zu erwarten wäre, ein zwar in jeder Hinsicht trefflicher, aber vielleicht etwas konventioneller Mensch, der die häufigen Besuche eines jungen Mannes nicht ganz verstehen würde. Hayward fand das Leben grau und hässlich; seine Seele lehnte sich dagegen auf, sich noch einmal dem Zynismus einer Prüfungskommission auszusetzen, und der Gedanke reizte ihn, den Ball, der zu seinen Füßen lag, kurz entschlossen wegzustoßen. Überdies war er ziemlich verschuldet: Es war schwer, in London mit dreihundert Pfund jährlich wie ein Gentleman zu leben: Sein Herz sehnte sich nach Florenz und Venedig, die John Ruskin so zauberhaft geschildert hatte.
    Er war zur Überzeugung gelangt, dass er zum Advokaten nicht geeignet war, und was die moderne Politik anbelangt, so schien sie ihm wenig edel. Er sah sich als Dichter. Er gab seine Wohnung auf und ging nach Italien. Er hatte einen Winter in Florenz und einen in Rom verbracht und hielt sich nun bereits den zweiten Sommer in Deutschland auf mit dem Ziel, Goethe im Original lesen zu können.
    Hayward besaß eine Gabe, die sehr wertvoll war. Er hatte ein wirkliches Gefühl für Literatur und konnte seine eigene Begeisterung mit bewundernswerter Beredsamkeit weitergeben. Er konnte sich in einen Autor versenken, das Beste an ihm ausfindig machen und dann mit Verständnis über ihn reden. Philip hatte sehr viel, aber wahllos gelesen, und es war ihm von großem Nutzen, jemandem zu begegnen, der seinen Geschmack lenkte. Er lieh sich Bücher aus der kleinen städtischen Leihbibliothek und fing an, die wunderbaren Dinge zu lesen, auf die Hayward ihn hinwies. Er las nicht immer mit Genuss, aber stets mit Beharrlichkeit. Er wollte weiterkommen. Er fühlte sich sehr unwissend und klein. Gegen Ende August, als Weeks von Süddeutschland zurückkehrte, war Philip völlig unter Haywards Einfluss geraten. Hayward mochte Weeks nicht. Er verabscheute den schwarzen Gehrock und die grauen Hosen des Amerikaners und sprach mit spöttischem Achselzucken von seinem puritanischen Gewissen. Philip hörte sich diese herabsetzenden Äußerungen über einen Menschen, von dem er nur Freundliches erfahren hatte, mit großer Seelenruhe an, als aber Weeks seinerseits etwas Missbilligendes über Hayward sagte, geriet er außer sich.
    »Ihr neuer Freund sieht aus wie ein Dichter«, sagte Weeks mit einem dünnen Lächeln um seinen kummervollen, verbitterten Mund.
    »Er ist ein Dichter.«
    »Hat er Ihnen das gesagt? In Amerika würden wir ihn einen Windbeutel nennen.«
    »Zum Glück sind wir nicht in Amerika«, antwortete Philip eisig.
    »Wie alt ist er? Fünfundzwanzig? Und er tut nichts anderes, als in Pensionen zu wohnen und Gedichte zu schreiben.«
    »Sie kennen ihn nicht«, stieß Philip zornig hervor.
    »O doch; ich habe hundertsiebenundvierzig von seiner Sorte getroffen.«
    Weeks zwinkerte, aber Philip, der für amerikanischen Humor kein Verständnis hatte, presste die Lippen aufeinander und schaute finster drein. Weeks war Philip immer als ein Mann von mittleren Jahren erschienen, war aber in Wirklichkeit kaum älter als dreißig. Er hatte einen langen, dünnen Körper und die etwas gebeugte Haltung eines Gelehrten; sein Kopf war groß und hässlich, sein Haar farblos und schütter, seine Haut fahl; sein schmaler Mund, die dünne, lange Nase und die stark überstehende Stirnpartie gaben ihm ein wenig einnehmendes Aussehen. Er war kalt und präzise in seiner Art, ein blutleerer Mensch ohne Leidenschaft; aber er hatte eine seltsam frivole Ader, welche die

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