Der Menschen Hoerigkeit
ernsten Leute, mit denen ihn seine Instinkte naturgemäß zusammenführten, aus der Fassung brachte. Er studierte in Heidelberg Theologie, aber die anderen amerikanischen Theologiestudenten betrachteten ihn mit Misstrauen. Er war sehr unorthodox, was sie erschreckte, und sein wunderlicher Humor erregte ihr Missfallen.
»Wie können Sie hundertsiebenundvierzig von seiner Sorte begegnet sein?«, fragte Philip ernst.
»Ich bin ihm im Quartier Latin in Paris begegnet und in Pensionen in Berlin und München. Er lebt in kleinen Hotels in Perugia und Assisi. Er steht dutzendweise vor den Botticellis in Florenz und sitzt auf allen Bänken der Sixtinischen Kapelle in Rom. In Italien trinkt er ein wenig zu viel Wein und in Deutschland viel zu viel Bier. Er bewundert immer das Richtige, was es auch gerade sei, und immer steht er knapp davor, ein großes Werk zu schreiben. Man stelle sich vor: Hundertsiebenundvierzig große Werke ruhen in den Busen von hundertsiebenundvierzig großen Männern, und das Tragische daran ist, dass nicht eines dieser hundertsiebenundvierzig Werke je geschrieben wird. Und doch geht das Leben weiter.«
Weeks sprach ernst, aber am Ende seiner langen Rede zwinkerte er mit seinen grauen Augen, und Philip wurde dunkelrot, als er merkte, dass der Amerikaner sich über ihn lustig machte.
»Sie reden Unsinn«, sagte er wütend.
27
Weeks hatte zwei kleine Hinterzimmer in Frau Erlins Haus gemietet, und eines davon, als Wohnzimmer eingerichtet, war groß genug, um Gäste einladen zu können. Nach dem Abendessen lud er, vielleicht angespornt von jenem teuflischen Humor, der seine Freunde zur Verzweiflung brachte, Philip und Hayward häufig zu einer kleinen Plauderstunde ein. Er empfing die beiden mit ausgesuchter Höflichkeit und bestand darauf, dass sie auf den zwei einzigen bequemen Stühlen Platz nahmen, die es in seinem Zimmer gab. Obwohl er selbst nichts trank, stellte er zwei Flaschen Bier vor Hayward hin, mit einer Höflichkeit, deren ironischer Beigeschmack Philip nicht entging; und jedes Mal bestand er darauf, Feuer zu geben, wenn in der Hitze des Gesprächs Haywards Pfeife ausging. Zu Beginn ihrer Bekanntschaft hatte Hayward als Absolvent einer der berühmtesten Universitäten gegenüber Weeks, der in Harvard studiert hatte, einen leicht herablassenden Ton angeschlagen, und als das Gespräch auf die griechischen Dramatiker gekommen war, ein Gebiet, auf dem sich Hayward unbedingte Autorität anmaßte, hatte er von vornherein die Haltung des Belehrenden eingenommen. Weeks hatte höflich und mit bescheidenem Lächeln zugehört, bis Hayward zu Ende gesprochen hatte; dann stellte er ein, zwei heimtückische Fragen, ihrem Anschein nach so unschuldig, dass Hayward, ohne zu ahnen, in welche Sackgasse sie führten, bereitwillig antwortete; Weeks machte einen höflichen Einwand, berichtigte dann eine Tatsache, warf ein Zitat eines wenig bekannten lateinischen Kommentators ein, führte eine deutsche Kapazität an – und entpuppte sich letzten Endes als ein Gelehrter. Mit lächelnder Ruhe, gleichsam um Entschuldigung bittend, zerpflückte Weeks alles, was Hayward sagte. Mit vollendeter Höflichkeit deckte er die Oberflächlichkeit seiner Urteile auf. Er verspottete ihn mit feiner Ironie. Philip musste sich wider Willen eingestehen, dass Hayward ein klägliches Bild abgab, und Hayward war nicht klug genug, den Mund zu halten. In seinem Ärger versuchte er zu widersprechen, er brachte die gewagtesten Behauptungen vor, und Weeks stellte sie aufs freundlichste richtig; er verwickelte sich in Widersprüche, und Weeks bewies ihm, dass er Unsinn redete. Weeks gestand schließlich, dass er an der Harvard-Universität griechische Literatur gelehrt hatte. Hayward lachte verächtlich.
»Das hätte ich merken können. Sie lesen Griechisch wie ein Schulmeister«, sagte er. »Ich lese als Dichter.«
»Und halten Sie es für poetischer, wenn Sie nicht genau wissen, was es bedeutet? Ich dachte, nur in Offenbarungsreligionen kann eine falsche Übersetzung unter Umständen den Sinn deutlicher machen.«
Schließlich verließ Hayward, nachdem er das Bier ausgetrunken hatte, wütend und aufgelöst Weeks Zimmer. Verärgert sagte er zu Philip:
»Dieser Mensch ist ein schrecklicher Pedant. Ihm fehlt jegliches Gefühl für Schönheit. Genauigkeit ist die Tugend der Beamten. Wir aber zielen auf den Geist der Griechen ab. Weeks kommt mir vor wie jener Mann, der sich Rubinstein anhörte und sich beklagte, dass dieser falsche
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