Der Menschen Hoerigkeit
schwer in einen Sessel fallen. Sein bleiches Gesicht war verzerrt, und große Schweißperlen standen ihm auf der Stirn.
»Sie sind krank«, sagte Philip.
»Es wird gleich vorübergehen.«
Aber Philip sah, dass er litt, und fragte ihn nach Schluss der Stunde, ob er seine Lektionen nicht lieber aussetzen wollte, bis er wieder gesund wäre.
»Nein«, sagte der alte Mann mit seiner gleichmäßigen, leisen Stimme. »Ich möchte lieber weiterarbeiten, solange es geht.«
Philip, voll peinigender Scheu, wenn er von Geld reden musste, errötete.
»Es wäre kein Verlust für Sie. Ich würde Ihr Honorar weiter bezahlen. Würden Sie mir erlauben, Ihnen das Honorar für die kommende Woche im Voraus zu geben?«
Monsieur verlangte achtzig Pfennig für die Stunde. Philip zog schüchtern einen Zehnmarkschein hervor und legte ihn auf den Tisch; der alte Mann sollte nicht das Gefühl haben, dass er ihm ein Almosen anbot.
»In diesem Fall werde ich erst wiederkommen, wenn es mir bessergeht.«
Er nahm das Geld und empfahl sich ohne weitere Dankesbezeugungen mit der gleichen förmlichen Verbeugung wie sonst.
»Bonjour, monsieur.«
Philip war etwas enttäuscht. Er war der Meinung, großmütig gehandelt zu haben, und hatte erwartet, dass Monsieur Ducroz ihn mit Dankbarkeitsbezeugungen überschütten werde. Er war bestürzt, dass der alte Lehrer das Geschenk angenommen hatte, als wäre es eine Selbstverständlichkeit gewesen. Er war so jung und wusste nicht, um wie viel geringer das Gefühl für Verbindlichkeit bei jenen ist, die Gefälligkeiten annehmen, als bei jenen, die sie erweisen. Fünf oder sechs Tage später erschien Monsieur Ducroz wieder. Er schlotterte ein wenig mehr und war sehr schwach, schien jedoch den Anfall überwunden zu haben. Er war nicht mitteilsamer als sonst und blieb geheimnisvoll, unnahbar und schmutzig. Er erwähnte seine Krankheit mit keinem Wort, bis die Stunde vorüber war; die Hand bereits an der Türklinke, hielt er inne: Er zögerte, als fiele es ihm schwer zu sprechen.
»Wenn Sie mir das Geld nicht gegeben hätten, hätte ich hungern müssen. Ich hatte sonst keinen Pfennig.«
Er machte seine feierliche, höfliche Verbeugung und ging. Ein Klumpen stieg Philip in die Kehle. Er empfand die hoffnungslose Bitternis dieses Daseins und dachte bekümmert, wie schwer das Leben dieses alten Mannes und wie angenehm dagegen sein eigenes war.
26
Philip hatte drei Monate in Heidelberg verbracht, als die Frau Professor ihm eines Morgens mitteilte, dass ein Engländer namens Hayward sein Eintreffen ankündigt habe, und am gleichen Abend beim Essen sah Philip ein neues Gesicht. Seit ein paar Tagen lebte das Haus Erlin in einem Zustand großer Aufregung. Erstens hatten, als Ergebnis Gott weiß welcher Schliche, welcher Gebete oder verdeckter Drohungen, die Eltern des jungen Engländers, mit dem Fräulein Thekla verlobt war, diese nach England eingeladen. Mit einem Album voller Aquarelle, die ihr Können unter Beweis stellten, und einem Bündel von Briefen, die zeigten, wie tief sich der junge Mann kompromittiert hatte, war sie abgereist. Eine Woche später verkündete Fräulein Hedwig mit strahlendem Gesicht, dass der Leutnant ihres Herzens in Begleitung seines Vaters und seiner Mutter nach Heidelberg kommen würde. Zermürbt durch die Beharrlichkeit ihres Sohnes und gerührt über die Mitgift, die Fräulein Hedwigs Vater zu bieten bereit war, hatten die Eltern des Leutnants eingewilligt, in Heidelberg haltzumachen, um die Bekanntschaft des jungen Mädchens zu machen. Das Ergebnis war zufriedenstellend, und Fräulein Hedwig erlebte die Genugtuung, ihren Liebsten im Stadtgarten allen Bewohnern des Hauses Erlin vorstellen zu dürfen. Die schweigsamen alten Damen, die an der Spitze der Tafel neben Frau Professor Erlin saßen, waren ganz aufgeregt, und als Fräulein Hedwig erklärte, dass sie unverzüglich nach Hause fahren müsse, um die Verlobung offiziell zu machen, fasste die Frau Professor, ungeachtet der Kosten, den Entschluss, eine Maibowle zu stiften. Professor Erlin war sehr stolz auf seine Kunst, dieses mild berauschende Getränk zuzubereiten, und nach dem Abendessen wurde die große Terrine mit Rheinwein und Soda, in dem würzige Kräuter und Walderdbeeren herumschwammen, feierlich auf den runden Tisch im Salon gestellt. Fräulein Anna neckte Philip mit der Abreise seiner Herzallerliebsten, und er fühlte sich sehr unbehaglich und ziemlich melancholisch. Fräulein Hedwig sang ein paar Lieder, Anna
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