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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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erschreckte ihn zugleich, dass dieser Mann für so viele Dinge, die Philip bisher als fast heilig und unantastbar angesehen hatte, eine ausgesprochene Verachtung an den Tag legte. Er stürzte den Fetisch des Sports, indem er alle, die sich seinen verschiedenen Formen hingaben, mit dem geringschätzigen Wort ›Muskelprotz‹ abstempelte. Und Philip merkte nicht, dass er an dessen Stelle den Fetisch der Bildung gesetzt hatte.
    Sie gingen miteinander zum Schloss hinauf und saßen auf der Terrasse, von der aus man die Stadt überblickte. Sie schmiegte sich, freundlich und behaglich, in das Tal am schönen Neckar entlang. Der Rauch der Schornsteine hing über ihr als blasser blauer Dunst; und die hohen Dächer und Kirchtürme gaben ihr eine wunderbar mittelalterliche Atmosphäre. Diese Stadt hatte etwas Heimeliges an sich, das das Herz erwärmte. Hayward sprach von Richard Feverel und Madame Bovary, von Verlaine, Dante und Matthew Arnold. In jenen Tagen war Fitzgeralds Übersetzung von Omar Khayyám nur einigen Auserwählten bekannt, und Hayward trug sie Philip vor. Er liebte es, Gedichte zu rezitieren, seine eigenen und die anderer, was er in einem monotonen Singsang tat. Als sie nach Hause zurückgekehrt waren, hatte sich Philips Misstrauen gegen Hayward in enthusiastische Bewunderung verwandelt.
    Die beiden gingen nun jeden Nachmittag miteinander spazieren, und Philip erfuhr bald Näheres über Hayward. Er war der Sohn eines Landrichters, der kürzlich verstorben war und von dem er ein Vermögen geerbt hatte, das ihm ungefähr dreihundert Pfund im Jahr sicherte. Auf der Schule, in Charterhouse, hatte er dermaßen brilliert, dass der Master von Trinity Hall in Cambridge seinem Stolz Ausdruck gegeben hatte, dass Hayward für sein Studium dieses College gewählt hatte. Er bereitete sich auf eine steile Karriere vor. Er bewegte sich nur in intellektuellen Kreisen; er las mit Begeisterung Byron und rümpfte seine wohlgeformte Nase über Tennyson; er wusste alle Einzelheiten über Shelleys Verhalten Harriet gegenüber; die Kunstgeschichte war eine Liebhaberei von ihm (an den Wänden seines Zimmers hingen Reproduktionen von Bildern von G.F. Watts, Burne-Jones und Botticelli), und er schrieb, nicht ohne Begabung, pessimistische Verse. Seine Freunde betrachteten ihn als einen Mann von ungewöhnlichen Talenten, und er hörte ihnen widerspruchslos zu, wenn sie ihm eine große Zukunft prophezeiten. Im Lauf der Zeit wurde er zu einer Autorität auf dem Gebiet der Kunst und der Literatur. Er geriet unter den Einfluss von Newmans Apologia; das Pittoreske des römisch-katholischen Glaubens sagte seinem ästhetischen Sinn zu, und lediglich die Angst vor der Wut seines Vaters (eines einfachen Menschen mit beschränkten Ideen, der Macauley las) hielt ihn davon ab überzutreten. Als er seine Prüfungen nur mittelmäßig bestand, waren seine Freunde überrascht; er aber zuckte die Achseln und ließ durchblicken, dass es ein ganz klein wenig vulgär wäre, mit Auszeichnung durchzukommen. Er schilderte sein Examen mit gutmütigem Humor; ein Mensch mit einem unmöglichen Kragen hatte ihm Fragen über Logik gestellt; es war unbeschreiblich langweilig gewesen; und plötzlich hatte er gemerkt, dass dieser Stiefel mit Gummizug trug: Es war grotesk und lächerlich; um seine Gedanken abzulenken, hatte er an die gotische Schönheit der Kapelle von Kings College gedacht. Aber er hatte wunderbare Tage in Cambridge verlebt; er hatte bessere Dinners gegeben als irgendeiner seiner Bekannten, und die Gespräche in seinem Zimmer waren häufig denkwürdig gewesen. Er zitierte Philip das treffliche Epigramm:
    »Sie sagten mir, Herakleitus, sie sagten mir, du wärest tot.«
    Und jetzt, als er wieder die pittoreske kleine Anekdote über den Prüfer und dessen Stiefel erzählte, lachte er.
    »Natürlich war es Unsinn«, sagte er, »aber es war ein Unsinn, an dem etwas Schönes war.«
    Philip fand das alles großartig.
    Nach Abschluss seiner Prüfungen ging Hayward nach London, um sich für die Advokatur vorzubereiten. Er hatte eine entzückende Wohnung in Clement’s Inn, mit getäfelten Wänden, und er versuchte, ihr das Aussehen seiner alten Wohnung in Trinity Hall zu geben. Er hatte die vage Absicht, später einmal die politische Laufbahn einzuschlagen, bezeichnete sich als Whig und trat in einen liberalen Klub ein, der aber noblen Anstrich hatte. Seine Idee war es, bei Gericht zu arbeiten (er wählte den Obersten Gerichtshof wegen der geringeren

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