Der Menschen Hoerigkeit
er fühlte, dass er sich durch seine einfachen Worte für etwas, das der andere umschrieben hatte, einer Banalität schuldig gemacht hatte. »Ich gehöre der Kirche von England an. Aber ich liebe das Gold und die Seide, die den Priester von Rom einhüllen, ich liebe sein Zölibat, den Beichtstuhl und das Fegefeuer, und im Dämmerlicht einer italienischen Kathedrale, weihraucherfüllt und voller Geheimnis, glaube ich von ganzem Herzen an das Wunder der Messe. In Venedig sah ich ein Fischweib hereinkommen, barfuß, ihren Korb hinstellen, in die Knie sinken und zur Mutter Gottes beten, und das, fühlte ich, war der wahre Glaube, und ich betete und glaubte mit ihr. Aber ich glaube auch an Aphrodite, an Apollo und an den großen Pan.«
Er hatte eine ungemein angenehme Stimme, wägte seine Worte, brachte sie beinahe rhythmisch vor. Er hätte noch lange weitergeredet, aber Weeks öffnete eine zweite Flasche Bier.
»Erlauben Sie mir, dass ich Ihnen noch einmal einschenke?«
Hayward wandte sich an Philip, mit der leicht herablassenden Art, die so großen Eindruck auf den jungen Mann machte:
»Sind Sie nun befriedigt?«
Philip, etwas verwirrt, bejahte.
»Schade, dass Sie nicht ein wenig Buddhismus mit dazunehmen«, meinte Weeks. »Und Mohammed sollten Sie auch nicht so ohne weiteres beiseitelassen.«
Hayward lachte, denn er war an jenem Abend in wohlwollender Stimmung gegenüber sich selbst, und der Klang seiner Sätze tönte ihm noch angenehm in den Ohren. Er leerte sein Glas.
»Ich habe nie erwartet, dass Sie mich verstehen würden«, entgegnete er. »Mir Ihrem kalten amerikanischen Verstand sind Sie bloß zu einem fähig: zur Kritik. Wie Emerson. Aber was ist Kritik? Etwas rein Zerstörendes, und zerstören kann jeder. Aber aufbauen – darauf kommt es an! Sie sind ein Pedant, mein Lieber. Ich bin schöpferisch. Ich bin ein Dichter.«
Weeks schaute ihn an, mit Augen, die ganz ernst waren und gleichzeitig zu lachen schienen.
»Sie sind, wenn ich mir das gestatten darf, ein wenig betrunken.«
»Nicht der Rede wert«, antwortete Hayward vergnügt. »Nicht genug, um Sie nicht mühelos aus dem Sattel zu heben. Aber ich habe Ihnen nun mein Inneres offenbart. Jetzt sind Sie an der Reihe, erzählen Sie uns: Was ist Ihre Religion?«
Weeks legte den Kopf auf die Seite, so dass er aussah wie ein Spatz auf der Stange.
»Ich bemühe mich seit Jahren, das herauszufinden. Ich glaube, ich bin ein Unitarier.«
»Aber dann wären Sie ja Dissident!«, rief Philip.
Er verstand nicht, warum beide zu lachen anfingen, Hayward unbändig und Weeks schmunzelnd und belustigt.
»Und in England gilt ein Dissident nicht als Gentleman, nicht wahr?«, sagte Weeks.
»Nun, wenn Sie mich so direkt fragen: Nein«, entgegnete Philip ziemlich wütend.
Er hasste es, ausgelacht zu werden, und die beiden lachten schon wieder.
»Und können Sie mir sagen, was ein Gentleman ist?«, fragte Weeks.
»Das ist schwer zu erklären; jeder weiß, was ein Gentleman ist.«
»Sind Sie ein Gentleman?«
In dieser Hinsicht hatte Philip nie Zweifel gehabt, aber er wusste, er konnte sich nicht selbst als solchen bezeichnen.
»Wenn Ihnen ein Mann sagt, er sei ein Gentleman, können Sie sicher sein, dass er keiner ist«, entgegnete er.
»Bin ich ein Gentleman?«
Philips Ehrlichkeit machte es ihm schwer zu antworten, aber er war von Natur aus höflich.
»Bei Ihnen ist das etwas anderes«, sagte er. »Sie sind doch Amerikaner, nicht wahr?«
»Einigen wir uns darauf, dass es nur unter den Engländern Gentlemen gibt«, sagte Weeks ernst.
Philip widersprach ihm nicht.
»Könnten Sie mir nicht einige nähere Einzelheiten nennen?«, fragte Weeks.
Philip errötete, aber da er ärgerlich wurde, war es ihm gleichgültig, dass er sich blamierte.
»Ich kann eine ganze Menge nennen.« Er erinnerte sich daran, dass sein Onkel gesagt hatte, ein Gentleman entstehe in drei Generationen. »Vor allem muss er der Sohn eines Gentleman sein, und er muss auf einer Public School und in Oxford oder Cambridge gewesen sein.«
»Edinburgh würde vermutlich nicht genügen?«, fragte Weeks.
»Und er spricht Englisch wie ein Gentleman und trägt die passende Kleidung, und wenn er ein Gentleman ist, erkennt er mühelos, ob ein anderer ein Gentleman ist.«
Seine Ausführungen erschienen Philip selbst etwas kraftlos, aber das war genau das Problem: Das alles war mit diesem einen Wort gemeint, und jeder, den er kannte, meinte genau dasselbe damit.
»Dann werde ich mich leider damit
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