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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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alles.«
    Er begann, an der Flamme, die er sich zum Teil vortäuschen musste, Feuer zu fangen, und war beim Tee ausgelassen lustig. Miss Wilkinson blickte ängstlich zu ihm hinüber.
    »Sie dürfen nicht so glänzende Augen haben«, sagte sie nachher zu ihm. »Was soll denn Tante Louisa denken?«
    »Es ist mir gleich, was sie denkt.«
    Miss Wilkinson lachte erfreut. Das Abendessen war kaum beendet, als er zu ihr sagte: »Wollen Sie mir Gesellschaft leisten, während ich eine Zigarette rauche?«
    »Warum lässt du Miss Wilkinson nicht ein wenig in Ruhe sitzen?«, fragte Mrs.   Carey. »Du darfst nicht vergessen, dass sie nicht mehr so jung ist wie du.«
    »Ach, ich gehe gern noch ein bisschen an die Luft, Mrs.   Carey«, war die etwas säuerliche Antwort.
    »Ganz richtig«, meinte der Vikar. »Nach dem Mittagessen sollst du ruhn, nach dem Abendessen tausend Schritte tun.«
    »Ihre Tante ist sehr nett, aber manchmal geht sie mir auf die Nerven«, sagte Miss Wilkinson, als sie die Tür hinter sich schlossen.
    Philip schleuderte die Zigarette weg, die er sich eben angezündet hatte, und schlang die Arme um sie. Sie versuchte, ihn wegzuschieben.
    »Sie haben mir versprochen, artig zu sein, Philip.«
    »Aber doch nicht, um es zu halten.«
    »Nicht so nahe beim Haus, Philip«, sagte sie. »Was, wenn plötzlich jemand herauskommt?«
    Er führte sie in den Gemüsegarten, wo man ziemlich sicher war, und diesmal dachte Miss Wilkinson nicht an Ohrwürmer. Er küsste sie leidenschaftlich. Es verwirrte ihn, dass er sie morgens überhaupt nicht leiden mochte, nachmittags mäßig, aber abends die Berührung ihrer Hand genügte, um ihn zu erregen. Er raunte ihr Dinge ins Ohr, die er sich selbst niemals zugetraut hätte; bei Tageslicht hätte er das bestimmt nicht sagen können; er hörte sich mit Staunen und Befriedigung zu.
    »Wie schön es ist, von dir verführt zu werden!«, sagte sie.
    Das fand er auch.
    »Oh, könnte ich nur alles sagen, was mir auf dem Herzen brennt«, murmelte er leidenschaftlich.
    Es war herrlich. Es war das aufregendste Spiel, das er je gespielt hatte; und das Großartigste dabei war, dass er fast alles, was er sagte, auch wirklich fühlte. Er musste nur ein ganz klein wenig übertreiben. Es machte ihm ungeheuren Eindruck, welche Wirkung sein Verhalten auf sie hatte. Nur mit Anstrengung konnte sie sich dazu aufraffen, endlich aufzustehen.
    »Geh noch nicht weg«, rief er.
    »Doch. Ich habe Angst«, murmelte sie.
    Aufgrund einer plötzlichen Eingebung wusste er, was er zu tun hatte.
    »Ich kann noch nicht hineingehen. Ich werde hierbleiben und nachdenken. Meine Wangen brennen. Ich brauche die Nachtluft. Gute Nacht.«
    Er hielt ihr ernst die Hand hin, und sie nahm sie schweigend. Er glaubte ein unterdrücktes Schluchzen zu hören. Oh, es war wundervoll! Als er nach einer angemessenen Pause ins Haus zurückkehrte – er hatte sich indessen allein in dem dunklen Garten ziemlich gelangweilt –, war Miss Wilkinson bereits zu Bett gegangen.
    Von nun an war alles verändert zwischen ihnen; am nächsten und übernächsten Tag zeigte sich Philip als eifriger Liebhaber. Er fühlte sich angenehm geschmeichelt, als er entdeckte, dass Miss Wilkinson in ihn verliebt war: Sie sagte es ihm auf Englisch, sie sagte es ihm auf Französisch. Sie machte ihm Komplimente. Nie zuvor hatte ihm jemand mitgeteilt, dass er bezaubernde Augen und einen sinnlichen Mund hätte. Er hatte sich nie besonders um sein Aussehen gekümmert, aber nun versäumte er es nicht, sich gelegentlich mit Genugtuung im Spiegel zu betrachten. Wenn er sie küsste, war es wunderbar, die Leidenschaft zu spüren, die ihre Seele bewegte. Er küsste sie ziemlich oft, denn es fiel ihm leichter, als die Dinge zu sagen, die sie von ihm erwartete. Er kam sich immer noch albern vor, wenn er ihr Liebeserklärungen machte. Er wünschte sich jemanden herbei, vor dem er ein bisschen prahlen und mit dem er die einzelnen Punkte seines Verhaltens genau durchsprechen könnte. Manchmal sagte sie etwas Rätselhaftes, und er war verwirrt. Er wäre froh gewesen, Hayward in der Nähe zu haben, um ihn zu fragen, was sie meinte und wie er weiter vorgehen sollte. Er war sich nicht ganz klar, ob er den Lauf der Ereignisse beschleunigen oder lieber in Ruhe abwarten sollte. Es blieben nur noch drei Wochen.
    »Ich kann es nicht ertragen, daran zu denken«, sagte sie. »Es bricht mir das Herz; vielleicht werden wir einander nie mehr wiedersehen.«
    »Wenn du mich nur ein bisschen lieb

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