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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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französischen Gouvernante, dieser exotischen Blume, duftend und pervers; er würde sie als Französin ausgeben. Schließlich hatte sie lange genug in Frankreich gelebt, und es war kleinlich, sich allzu pedantisch an die Tatsachen zu halten. Er würde Hayward schildern, wie er sie zum ersten Mal gesehen hatte, in ihrem hübschen Musselin-Kleid, und wie sie ihm die Blume geschenkt hatte. Er machte ein entzückendes Idyll daraus. Die Sonne und das Meer gaben seinem Bild Leidenschaft und Zauber, die Sterne verliehen ihm Poesie, und der alte Pfarrgarten lieferte einen wundervollen Rahmen. Das Ganze hatte etwas von Meredith: nicht ganz Lucy Feveral und nicht ganz Clara Middleton, aber es war unbeschreiblich bezaubernd. Philips Herz schlug schnell. Seine Phantasien entzückten ihn dermaßen, dass er, kaum dem Wasser entstiegen, sofort wieder zu ihnen zurückkehrte. Er dachte an das Objekt seiner Begierde. Sie hatte das anbetungswürdigste Näschen und große braune Augen – so wollte er sie Hayward beschreiben –, eine Fülle weichen, braunen Haares, in dem man sein Gesicht vergraben wollte, eine Haut wie Elfenbein und Sonnenschein, und Wangen, so rot wie Rosen. Wie alt sie war? Achtzehn vielleicht, und er nannte sie Musette. Ihr Lachen war quellfrisch, und ihre Stimme so weich, so leise, die süßeste Musik, die er je gehört hatte.
    »Woran denkst du denn so intensiv?«
    Philip blieb erschrocken stehen.
    »Schon seit einer Viertelmeile winke ich dir. Du bist aber abwesend.«
    Miss Wilkinson stand vor ihm und lachte über seine Überraschung.
    »Ich bin dir ein Stück entgegengegangen.«
    »Das ist furchtbar nett von dir«, sagte er.
    »Habe ich dich erschreckt?«
    »Ein wenig«, gab er zu.
    Der Brief an Hayward wurde trotzdem geschrieben. Er war acht Seiten lang.
    Die vierzehn Tage, die noch übrig blieben, gingen schnell vorbei, und obgleich Miss Wilkinson abends im Garten nie festzustellen versäumte, dass wieder ein Tag um war, ließ sich Philip dadurch seine gute Laune nicht verderben. Eines Abends sagte Miss Wilkinson, dass es wunderschön wäre, wenn sie ihre Stelle in Berlin aufgeben und nach London kommen könnte. Dann könnten sie sich immer sehen. Philip erwiderte zwar, dass das schön wäre, aber dieser Vorschlag weckte bei ihm keine Begeisterung. Er freute sich auf sein Leben in London und wollte ungebunden sein. Manchmal sprach er ein wenig zu enthusiastisch über seine Zukunftspläne und ließ Miss Wilkinson merken, dass er seine Abreise mit Ungeduld herbeisehnte.
    »So würdest du nicht reden, wenn du mich lieben würdest«, rief sie.
    Er war betroffen und blieb still.
    »Wie dumm ich doch war!«, murmelte sie.
    Er sah zu seiner Überraschung, dass sie weinte. Sein weiches Herz regte sich.
    »Du weinst? Nicht doch. Was habe ich dir denn getan?«
    »Ach, Philip, verlass mich nicht! Du weißt nicht, was du mir bedeutest. Mein Leben ist so traurig, und du hast mich so glücklich gemacht.«
    Er küsste sie schweigend. Aus ihrer Stimme klang echter Schmerz, und er war erschrocken. Zum ersten Mal kam ihm der Gedanke, dass sie das, was sie sagte, auch wirklich meinte.
    »Es tut mir furchtbar leid, dass ich dich gekränkt habe. Du weißt, wie ich an dir hänge. Hoffentlich kannst du wirklich nach London kommen.«
    »Ach, davon kann doch keine Rede sein. Es ist beinah unmöglich, eine Stelle zu finden, und ich hasse das englische Leben.«
    Fast ohne zu wissen, dass er Theater spielte, drückte er sie, gerührt von ihrem Kummer, fester und fester an sich. Ihre Tränen schmeichelten ihm, und er küsste sie mit wahrer Leidenschaft.
    Aber ein paar Tage später machte sie ihm eine richtige Szene. Einige Leute waren zum Tennisspielen gekommen, darunter die beiden Töchter eines pensionierten Majors, der in einem indischen Regiment gedient und sich vor kurzem in Blackstable niedergelassen hatte. Sie waren sehr hübsch, eine von ihnen war so alt wie Philip, die andere ein, zwei Jahre jünger. Gewohnt, mit jungen Männern umzugehen (sie kannten eine Fülle von Geschichten aus dem indischen Garnisonsleben, und die Bücher von Rudyard Kipling waren zu jener Zeit in aller Hände), fingen sie an, Philip zu necken, und er, entzückt von dieser Neuheit – die jungen Damen von Blackstable behandelten den Neffen des Vikars mit großem Ernst –, war fröhlich und heiter. Irgendein Teufel in ihm stachelte ihn an, heftig mit beiden zugleich zu flirten, und da er der einzige junge Mann war, verhielten sie sich keineswegs

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