Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
wie ein typischer Fatter Eskil Gast, aber das tat sie auch nicht. Neben ihm stand ein halbvolles Glas mit Bier, das er hochhob, um ihr zuzuprosten.
In diesem Augenblick wusste sie, dass er es sein würde. Aber wenn sie jemand gefragt hätte warum, hätte sie sich mit einer Antwort schwergetan. Sein Aussehen war es nicht. Zwar war er muskulös, eher der vierschrötige Typ, aber nicht besonders groß, und auch sein Gesicht war nicht besonders hübsch. Ganz gut aussehend, mit einer platten Nase, wahrscheinlich von der |29| Begegnung mit einer Faust, und hohen Wangenknochen. Die Haare waren eher straßenköterblond und ziemlich kurz. Vielleicht fühlte sie sich von seiner Kleidung angezogen? Schon von weitem hatte sie das Pringle-Logo auf seinem gelben Hemd gesehen. Schwarze Jeans und schwarze, schwere Stiefel vollendeten den Gesamteindruck seiner gelungenen Selbstinszenierung. Nicht uninteressant, aber auch kein Grund durchzudrehen.
»Danke.«
Sie formte die Antwort überdeutlich mit den Lippen und sah ihm in die Augen. Die waren braun, ein kühles Braun, in dem alles in einer bodenlosen Dunkelheit versinkt. Immer waren es die Augen. Dort lauerte die Gefahr, und bei ihm leuchtete sie auf eine Art, die ihr gefiel.
Sie ging auf die Toilette und legte neuen Lippenstift auf, zog ihren Slip aus und stopfte ihn in ihre Handtasche. Das alles dauerte nur wenige Sekunden, und sie warf nur einen kurzen Blick in den Spiegel, um ihr Gesicht zu betrachten. Es gab kein Gesetz, das besagte, dass man bei einem Polterabend die ganze Nacht mit seinen Freundinnen zusammenbleiben muss.
Sie wusste, dass er noch an derselben Stelle stehen würde. Er wartete auf sie. Neben ihm auf dem Tresen stand ein frisch gezapftes Glas Bier. Er zeigte darauf und sah sie an.
Sie zupfte ihr Seidenkleid zurecht, das sich an ihren Körper schmiegte. Sie sah ihm an, dass er wusste, dass sie nichts drunter trug. Zumindest hoffte er, dass es so war.
»Und wie heißt du?«, fragte er, als sie nach dem besitzerlosen Bier griff.
»Kiki.«
Er gab ihr einen festen Händedruck und verbeugte sich leicht vor ihr. Nicht um sich lustig zu machen, er war einfach einer jener Männer, die so etwas taten. Zumindest empfand sie das so.
»Johnny«, erwiderte er, als hätte er den Namen soeben in der Luft gefangen.
Sie mochte den Namen, obwohl sie wusste, dass er ihn sich ausgedacht hatte. Er schmeckte nach Lastkraftwagenfahrer und |30| Motorenöl, aber sie konnte an seinen Händen sehen, dass er beruflich nichts mit Autos zu tun hatte.
»Und was bist du so für einer, Johnny?«
Er sah sie an.
»Willst du das wirklich wissen? Oder ist das hier nur eine oberflächliche Unterhaltung?«
»Es ist die reinste Oberfläche, und ich möchte es sehr gerne wissen.«
Sie nippte am Bier, es war eiskalt und durstlöschend. Es verstärkte ihre eigene Lust, sich auf sein Spiel einzulassen. Er wirkte erbarmungslos und schnell, sie erkannte in ihm ihren eigenen Hunger, ihre Begierde.
»Beruflich bin ich Serviceassistent im Krankenhaus. Früher haben die das Krankenträger genannt. Privat bin ich so vieles andere.«
»Zum Beispiel?«
»Fußballfan. Casual. Hundebesitzer. Wohnungseigentümer. Sexspielkind. Kaffeetrinker. Peitschenbesitzer. Sohn. Bruder. Neffe. Obwohl mir die Familie echt gestohlen bleiben kann.«
»Was ist Casual?«, fragte sie, obwohl zwei andere Worte in ihrem Kopf dröhnten und warme Stöße durch ihren Körper sendeten.
Er beugte sich zu ihr vor. Es schien ihr, als könnte er die Luft zwischen ihnen einfach flach drücken. Sein Gesicht war dicht vor ihr, und seine Augen lächelten, wie zwei Pfützen mit blankem Wasser, in denen man sich spiegeln kann.
»Das werde ich dir später erklären.«
»Später?«
»Bei mir zu Hause.«
Er deutete mit einem Kopfnicken auf ihre Hand. Sie hatte ihren Ehering zwar abgenommen, aber man konnte den Abdruck noch erkennen.
»Ich gehe davon aus, dass dein Mann nicht unbedingt an meiner Gesellschaft interessiert ist?«
Da konnte man sich nie sicher sein, dachte sie. Es wäre nicht |31| das erste Mal, aber ihn würde sie, solange es ging, für sich allein behalten wollen. Sie nahm einen großen Schluck und wischte sich diskret den Schaum von der Oberlippe, während sie auf dem Barhocker Platz nahm und sehr langsam die Beine übereinanderschlug.
»Wo wohnst du denn?«
»In der Nähe vom Hauptbahnhof. Wollen wir nicht tanzen?«
Das Konzert war bald zu Ende, die Zuschauer hatten endlich angefangen, die kleine Tanzfläche
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