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Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman

Titel: Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elsebeth Egholm
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Das Varna Palais war zeit ihres Lebens das Lieblingsrestaurant der Verstorbenen gewesen. Es verströmte den Duft vergangener, großer Zeiten, die auch Dorothea Svensson mit ihren flatternden Divenroben, dem toupierten Haar und den unzähligen goldenen und diamantbesetzten Schmuckstücken erlebt hatte.
    Dicte betrat das Foyer und ging den Gang hinunter zu den Veranstaltungsräumen. Sie hatte auf dem Parkplatz Ausschau nach Wagners Auto gehalten, es aber nicht entdecken können. So wie sie ihn kannte, würde er noch auftauchen. Er würde Ida Marie nicht im Stich lassen, selbst wenn er nur eine halbe Stunde |22| entbehren könnte, jetzt, da ihn sein Job voll in Beschlag genommen hatte.
    »Ich weiß genau, wo ihr beide gewesen seid.«
    Ida Maries Stimme klang unterkühlt, ein unangenehmes Schweigen senkte sich über die Trauergesellschaft, als sie pünktlich zum Hauptgang eintrafen. Es gab Kassler.
    »Verzeih.«
    Dicte umarmte Ida Marie, die sich zuerst steif machte, doch dann nachgab und die Umarmung erwiderte.
    »Kommt er noch?«, fragte Dicte. Es war unnötig, den Namen zu erwähnen.
    »Hat er gesagt.«
    Sie standen sich einen Augenblick schweigend gegenüber. Ihre Freundschaft fühlte sich manchmal irgendwie schief an.
    »Ich muss mit ihm reden.«
    Ida Maries Blick bekam etwas Wachsames. Dicte legte ihr eine Hand auf den Arm.
    »Es ist wichtig. Um seinetwillen.«
    »Aber in erster Linie um deinetwillen, oder? Es ist wichtig für deine Story?«
    Ida Marie schüttelte den Kopf.
    »Ich kann ihn jetzt nicht anrufen. Die sind da mitten in … einer Sache.«
    Dicte wollte entgegnen, dass sie wusste, um was für eine ›Sache‹ es sich handelte. Aber wie so oft spürte sie genau die Grenze zwischen den Dingen, die sie wusste, und jenen, die sie offiziell wissen durfte. Letzteres gab es nicht so häufig. Ersteres war weitaus häufiger der Fall, und sie hatte nicht immer Lust, diese Dinge mit anderen zu teilen.
    »Du musst warten, bis er kommt, wenn er denn kommt.«
     
    Die Bewirtung war tadellos, und Bo stürzte sich mit seinem gewohnten Appetit auf die Speisen. Sie beobachtete ihn, während Kassler und Gemüse serviert wurden, und überlegte kurz, wo er das ganze Essen unterbrachte. Es verpuffte wahrscheinlich |23| alles, mit Unterstützung seiner quecksilberartigen Ruhelosigkeit, vermutete sie. Zumindest setzte es nicht am Körper an, der war so dünn wie der eines gejagten Hundes und auch an diesem Tag nicht passend zum Anlass, sondern lediglich in Jeans und T-Shirt gekleidet.
    Sie bekam keinen Bissen runter. Leere, unendlich tiefe Augenhöhlen schwebten durch ihre Erinnerung, begleitet von dem ironischen Slogan »I love U« auf dem T-Shirt der Toten. Natürlich hatte sie schon viel über die sonderbarsten Rituale gelesen, die sich bei dem drastischen Akt eines Mordes vollziehen konnten. Es gab unzählige Erklärungen, logische und unlogische. Dennoch war es ihr unmöglich, zu begreifen, warum ein Täter die Augen eines Opfers herausschnitt. Wenn er wollte, dass es nichts mehr sah, genügte es doch, den Menschen zu töten.
    Dicte zwang sich, ein paar Brokkoliröschen zu essen und warf einen Blick auf ihre Uhr. Jetzt waren die Reden an der Reihe, und ein Familienmitglied nach dem anderen erhob sich und lobpreiste jene Frau, die in mehr als nur einer Hinsicht das Leben ihres einzigen Kindes zerstört hatte. So war das mit dem Tod, dachte Dicte. Er machte aus den schlimmsten und egoistischsten Menschen die reinsten Engel.
    Sie hatten das Dessert schon fast aufgegessen, als er auftauchte. Sie hörte seine Schritte den Flur entlangkommen. Sie würde seinen Gang überall in der Welt wiedererkennen. Energisch und mit großer Sicherheit; nicht zu schnell, aber mit all der Autorität, die seine Person ausstrahlte, und das war nicht wenig. Immer wieder aufs Neue war sie überrascht, dass sie, die Autoritäten verabscheute, bei ihm eine Ausnahme machen konnte. Vielleicht lag es daran, dass seine Autorität nicht von seiner Position herrührte, sondern eine natürliche Kraft war, die im Laufe der Jahre und wachsender Erfahrung immer mehr zunahm.
    »Entschuldigt bitte.«
    John Wagner murmelte es über die Köpfe der Anwesenden hinweg, als er seinen Platz neben Ida Marie einnahm. Aber Gesichtsausdruck und Körperhaltung hatten keineswegs etwas Entschuldigendes. |24| In seinem Blick lag nur diese wohlbekannte ernsthafte Bestimmtheit, die auch noch am anderen Tischende zu erkennen war, dort wo Dicte und Bo saßen. Dem Anlass

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