Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
legte noch einen drauf.
»Und nicht so lange mit deiner Familie in Australien telefonieren, hörst du?«
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Kapitel 4
ES sollte weh tun. Sie nannte es immer ES, nie anders. Genauso wie sie an ihn immer nur als IHN dachte. Sie hatte nie versucht, den Grund dafür zu analysieren. Denn sie wusste, wenn sie erst einmal damit anfing, würde es niemals enden.
Kiki Laursen lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und lauschte der Musik, die von der Bühne in den Zuschauerraum strömte. Ihre Beine in den dunklen Netzstrümpfen und den hohen Stilettos wippten unterm Tisch im Takt mit. Der angekündigte Bluesabend im Fatter Eskil, einem Lokal, das sie sonst nie besuchte, war besser, als erwartet. Die Kneipe war knallvoll und die Stimmung gut.
»Ich gehe an die Bar. Willst du auch noch was?«
Sie schüttelte den Kopf, als Nina sie fragte. Alkohol war es |27| nicht, was sie wollte. Und das, obwohl sie am nächsten Tag freihatte und Monica auf die Kinder aufpasste. Sie war auf der Jagd nach etwas Bestimmtem, und Susannes Polterabend konnte dafür genauso gut genutzt werden wie jeder andere Abend auch.
Sie sah sich im Kreis ihrer Freundinnen um, eine geschmackloser angezogen als die nächste. Die zukünftige Braut aber hatte den Hauptpreis gewonnen. Passend zum Anlass, war sie wie eine überreife Prinzessin geschminkt und in ein Kostüm gesteckt worden, das eine jodelnde Heidi neidisch gemacht hätte. Vor wenigen Stunden noch hatte sie auf dem Strøget, der Haupteinkaufsstraße, gestanden und rote Rosen für einen Kuss an männliche Passanten verteilt. Danach wurde sie einem Stripper ausgeliefert, der ihr sehr professionell suggerierte, dass er ihren ausladenden Körper extrem sexy fand. Natürlich war das alles nur ein Spiel, ein Schauspiel. Der Stripper war der einzige Programmpunkt gewesen, an dem auch sie beteiligt gewesen war. Er war ein appetitlicher Typ mit muskulösen Beinen und Six-Pack. Breite Schultern, schmale Taille, genauso wie sie es gerne mochte. Was für eine Schande nur, dass er schwul war, aber dieses Detail hatte sie selbstverständlich für sich behalten. Es gab keinen Grund, schöne Illusionen zu zerstören.
Ach was, die Mädels waren schon okay so. Sie waren da, wenn man sie brauchte, und das war wohl das Wichtigste. Also, was hatte schon mangelnder Stil oder die falsche Wahl beim Ehemann zu bedeuten. Susanne würde bald Mitglied in diesem Club sein. Am Samstag würde sie den wohl langweiligsten Mann der Welt heiraten, alias der immer akkurate und gepflegte Ulrik in blauem, perfekt gebügeltem Hemd und passender Krawatte. Dazu gab es seine zwei perfekten Kinder mit sauberen Fingernägeln und glatt gestriegelten Haaren aus einer früheren – offensichtlich dann doch nicht perfekten – Ehe. Es war eigentlich erschreckend, wie wenig Einfluss man auf die Partnerwahl der eigenen Freundinnen hatte.
Sie versuchte, sich Susanne und Ulrik beim Sex vorzustellen, musste es aber gleich wieder abbrechen. Vielleicht würde ihnen |28| etwas unter der Decke in tiefer Dunkelheit einfallen. Aber große Hoffnungen hatte sie da nicht.
Das Lied war zu Ende, und die Zuschauer applaudierten. Sie stand auf.
»Ich geh mal eben aufs Klo. Haltet ihr mir den Platz frei?« Die anderen nickten. Aber sie konnte in ihren Augen ablesen, dass sie Bescheid wussten. Jetzt legt Kiki los, sagten die Blicke. Jetzt passiert gleich was.
Sie scannte die Kneipe auf dem Weg zu den Toiletten. Noch war das Rauchen erlaubt, und ein Nebel aus Qualm hatte sich über den Raum gelegt, der irgendwie zu klein für so viele Menschen wirkte. Sie mochte das. Eng, damit man sich dicht aneinander vorbeidrängen konnte – ihre Brust, die sich gegen die Schulter eines Mannes drückte, die Haut ihres Armes, die an einer Hand vorbeistreifte, die ein Bierglas hielt. Ein kleines »tschuldige« und danach ein kurzer, wie zufälliger Augenkontakt.
So bekam sie die Männer rum. Es war ganz einfach. Das war ihr noch nie schwergefallen, hatte ihr aber auch nie wirklich gutgetan. Es hatte sie kein einziges Mal glücklich gemacht, aber das war schließlich auch nicht ihr Ziel. Offensichtlich habe ich gar kein Ziel, dachte sie, außer diesem Hunger zu entkommen.
»Schöne Strümpfe!«
Klang da Verachtung durch? Der Mann, der sie angesprochen hatte, stand gegen die Bar gelehnt. Sie hatte ihn an diesem Abend bereits einmal gesehen, im Bridgewater Pub vor etwa einer Stunde. War es ein Zufall, dass er jetzt auch in dieser Kneipe war? Eigentlich sah er nicht aus
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