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Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman

Titel: Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elsebeth Egholm
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erstellte und im täglichen Geschäft für aktuelle Sachen zuständig war. Auch sie war natürlich hoffnungslos von Bo verzückt und der Ansicht, er sei Århus’ Antwort auf Johnny Depp.
    Dicte fuhr ihren Computer hoch, der mit einem Geräusch zum Leben erweckt wurde wie eine Rakete auf der Abschussrampe. Allerdings fühlte es sich so an, als hätte sie ihn gerade erst ausgeschaltet. Den Artikel über die Leiche am Stadion hatte |34| sie nach dem Leichenschmaus im Varna Palais am Sonntagabend geschrieben. Darum hatten Bo und sie auch eine halbe Stunde länger geschlafen an diesem Montagmorgen. Und weil seine Hand ganz zufällig ihre linke Brust gestreift hatte.
    »Doc Martens«, sagte Holger, dessen Hirnzellen doch ab und zu etwas Brauchbares produzieren konnten. »Ursprünglich stammen die aus England, glaube ich. Die Punks in den Achtzigern haben die vor allem getragen. Hier in Dänemark sieht man die praktisch kaum noch.«
    »Aber wenn man sie sieht, wer trägt die dann?«, hakte Dicte nach und hatte vor, Doc Martens zu googeln, wenn sie ihre Mails und ihre Post gesichtet hatte.
    »Die Autonomen aus der Besetzerszene, diese BZ-Bewegung«, schlug Helle vor. »Auf deren Demos kann man solche Stiefel häufiger sehen.«
    »Skinheads, Hooligans«, zählte Holger noch auf. »Kurt Cobain und Nirvana; die Gallagher-Brüder. Warum? Haben die was mit der Sache am Stadion zu tun?«
    Dicte wich aus:
    »Nee, ich frage nur, weil Rose sich so ein Paar wünscht. Aber ich finde, da steht irgendwie ›Gewalt‹ in großen Buchstaben drauf.«
    »Da können ja die Stiefel nicht wirklich was dafür«, wandte Helle ein.
    Holger und sie verfingen sich in einer regen Diskussion über Gewalt, während sie ihre Mails öffnete und die Stichworte Fußball und Doc Martens zusammenfügte. Ein Hooligan? Handelte es sich hier um rohe Gewalt im Rahmen eines Fußballspiels, die einfach alle Grenzen überschritten hatte?
    Ihr fiel wieder der Handyfilm über die Leiche ohne Augen ein. Die Frau war verprügelt worden, daran bestand kein Zweifel. War sie von dem Mann mit den schweren Stiefeln getreten worden? War das nur Ausdruck von zufälliger und sinnloser Gewalt? Oder war die Frau gezielt ausgewählt worden und wenn ja, aus welchem Grund?
    |35| Sie würden nichts erfahren, bevor die Polizei die Leiche identifiziert hatte, das war todsicher. Heimlich hoffte sie, Wagner würde ihr beizeiten Informationen zukommen lassen. Ansonsten hätte sie ihm das Handy nicht einfach so überlassen.
    Unwillkürlich lächelte sie den Bildschirm an. In Bo war der Rebell erwacht, als er mitbekommen hatte, dass sie Wagner das Handy übergeben wollte.
    »Bist du total übergeschnappt? Der Polizei einen technischen Beweis auszuhändigen? So etwas
macht
man einfach nicht.«
    Manchmal verstand er einfach nicht, wie sie tickte. Er begriff nicht, dass sie auf längere Sicht damit rechnete, eine Gegenleistung für ihr Entgegenkommen zu erhalten. In seiner Welt waren Polizisten brutale rücksichtslose Personen, die ihn als Kind von seinen Geschwistern getrennt haben, wenn die Sauftouren seiner Mutter mal wieder alle Grenzen gesprengt hatten. In seiner Welt waren das jene Menschen, die ungefragt in die Normalität eindrangen, die zu Hause herrschte, auch wenn diese äußerst fragil war. Ein Alltag, in dem Bo als Ältester den Einkauf erledigte, die Schulbrote schmierte, die leeren Flaschen entsorgte und dessen Oberfläche ein unordentliches, vernachlässigtes, aber funktionierendes Gefüge war. Die Polizei war der Feind, das hatte Bo tief verinnerlicht. So einfach war das.
    Hatte sie schon Schwierigkeiten mit Autoritäten, waren die bei diesem Mann, mit dem sie nun mittlerweile seit fünf Jahren zusammenlebte, noch um ein Hundertfaches verstärkt. Er war ihr acht Jahre jüngerer »rebel with a cause«. Meistens konnte sie ganz gut damit leben. Nur ab und zu kam es zu Zusammenstößen, die mitten in den Solarplexus gingen.
    »Kaffee?«
    Wenn man vom Teufel spricht, schoss es ihr durch den Kopf. Er stand im Türrahmen; groß und schlank, die Haare lang im Nacken, zum Pferdeschwanz gebunden. War das ihre ganz private Revolution gegen die Konventionen und die gesellschaftliche Erwartung von höflichen, kurzhaarigen Männern mit Bügelfalte und sauberen Nägeln? Nicht zum ersten Mal kam ihr |36| der Gedanke, dass ihre Eltern sich wahrscheinlich gegen diese Beziehung ausgesprochen hätten. Aber ihr Vater war tot, und ihre Mutter hatte sich für alle Zeiten den Zeugen Jehovas

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