Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
ihrer Tasche.
»Einen Namen«, sagte sie. »Ich brauche einen Namen.«
Er öffnete ein Auge.
»Du hast schon mehr als genug bekommen«, sagte er und schloss das Auge wieder.
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Kapitel 47
»Das sieht alles ganz normal aus.«
Der Arzt begann, die Elektroden von Wagners Brust, Armen und Beinen zu entfernen, nachdem die Maschine seinen Herzrhythmus als unebenen roten Strich ausgespuckt hatte. Wagner lag auf der Liege und starrte an die Decke. Es hatte nichts mit dem Doktor persönlich zu tun, aber ihm war es nie leichtgefallen, zum Arzt zu gehen. Er bekam alle möglichen Krankheitssymptome davon.
»Es hat den Anschein, als würdest du noch eine Zeitlang unter uns weilen«, sagte Nils Rørbeck forsch.
Wagner riss sich von der Betrachtung der Deckenplatten los. Er hatte denselben Arzt seit über zwanzig Jahren, und bisher hatte er noch nie Grund gehabt, an einer Diagnose zu zweifeln oder sich über einen Behandlungsfehler zu beklagen. Auf der anderen Seite war er bisher auch noch nie ernsthaft krank gewesen.
»Und die Speiseröhre?«
Rørbeck nickte, während er seine Instrumente zusammenlegte.
|317| »Die kann tatsächlich die Ursache für die Beschwerden sein. Ich gebe dir ein paar hervorragende Tabletten mit, die du einfach nach Bedarf einnimmst.«
Er sah seinen Patienten mit einem durchdringenden Blick an, so wie nur Ärzte und Ehefrauen einen ansehen konnten.
»Bist du gestresst? Treibst du Sport? Ernährst du dich gesund? Nimmst du die Arbeit immer mit nach Hause?«
Wagner überlegte sorgfältig, für welche Version der Wahrheit er sich entscheiden sollte. Er schwang die Beine von der Liege und setzte sich aufrecht hin.
»Stress kann zu Katarrhen in Speiseröhre und Magen führen«, sagte der Arzt, der ihm den Rücken zugewandt hatte.
»Ida Maries kocht gesund«, wich Wagner aus.
»Du solltest lange Spaziergänge machen.«
Rørbeck setzte sich an seinen Schreibtisch und griff nach dem Rezeptblock.
»Das hält fit und verleiht innere Ruhe.«
Innere Ruhe. Wagner kostete die Worte. Das Einzige, was ihm zurzeit eine innere Ruhe verschaffen konnte, waren Bachs
Brandenburgische Konzerte
und zur Not seine Präludien und Fugen. Aber er unterdrückte den Kommentar, weil er wusste, dass Nils Rørbeck ein eingefleischter Jazzfan und großer Miles-Davis-Bewunderer war und sie diese Diskussion schon so oft geführt hatten. Wagner konnte sich lebhaft an die Enttäuschung seines Arztes erinnern, als er ihm gestanden hatte, dass er bei Miles Davis immer einschlief.
»Hast du seit deinem letzten Katarrh wieder Beschwerden gehabt?«, fragte Rørbeck und unterschrieb das Rezept mit seiner gewohnt unleserlichen Unterschrift.
Wagner schüttelte den Kopf. Rørbeck wühlte in einer Schublade und reichte ihm eine Broschüre.
»Nun, du solltest vorerst auf bestimmte Lebensmittel verzichten. Unter anderem Kaffee. Du hast ja auch durchaus mal Probleme mit dem Magen gehabt, stimmt’s?«
Der Kaffee aus der Kantine war das reinste Gift, deshalb |318| nickte Wagner artig wie ein Schuljunge. In ihm wuchsen die Unruhe und der Wunsch, das Sprechzimmer endlich verlassen zu dürfen.
»Also: Null Kaffee, trink lieber Kräutertee. Nicht zu viel Zucker, das erzeugt ebenfalls Säure. Und auch Alkohol ist verboten.«
Wagner war versucht, beleidigt zu fragen, ob denn auch Sex verboten sei, unterdrückte aber den Impuls und nahm stattdessen das Rezept entgegen, nickte und verabschiedete sich. Erst als er draußen auf der Straße stand, konnte er wieder befreit aufatmen, weit genug entfernt von Klinikgeruch und weißen Kitteln. Diese Anflüge von Angst vor dem Arztbesuch hatte er bisher vor allen geheim gehalten, noch nicht einmal Ida Marie wusste davon.
Als er ins Polizeipräsidium zurückkehrte und sich gerade am Informationsschalter vorbeischleichen wollte, bekam er einen Gesprächsfetzen zwischen einem Besucher und dem wachhabenden Beamten mit.
»John Wagner ist für den Fall zuständig, aber der ist gerade nicht im Haus. Ich kann Sie an einen Kollegen weiterleiten.«
Sein erster Impuls war es, in die Kantine zu gehen und sich einen Kaffee zu holen, aber die Worte seines Arztes und die Situation zwangen ihn zu einem anderen Verhalten. Er gab dem Beamten ein Zeichen, der mit einem herzlichen Lächeln reagierte.
»Ja, sehen Sie mal. Da kommt er gerade. Dann können Sie sogar persönlich mit ihm sprechen.«
Der Mann drehte sich um. Er war braungebrannt, blond und ähnelte einem Urlaubsheimkehrer. Er trug ein weites
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