Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
sein, ich habe mich geduckt und gehofft, dass die mich nicht bemerken.«
Wagner beugte sich über den Schreibtisch und sah Refstrup eindringlich an.
»Wollen Sie sagen, dass Sie den Eindruck hatten, es ging um eine Erpressung?«
»Ganz eindeutig«, sagte Refstrup, ohne zu zögern. »Das war was Internes, nur zwischen den beiden. Der mit den Stiefeln wollte Geld dafür, dass er Informationen zurückhielt. Der andere wurde daraufhin wütend und hat ihm gedroht, dass ›er nur Ärger bekäme‹, also der Mann mit den Stiefeln, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Wagner verstand ausgezeichnet. Die Teile fielen langsam an ihren Platz, er konnte es förmlich hören. Er rief Jan Hansen in seinem Büro an und bat ihn, für die Aufnahme eines Protokolls vorbeizukommen.
»Okay. Arne Bay ist verschwunden. Wir haben einen Zeugen, der einer versuchten Erpressung beigewohnt hat, wo Bay massiv bedroht wurde. Können wir davon ausgehen, dass sein Verschwinden mit dieser Auseinandersetzung zu tun hat?«
|322| Wagner sah sich im Kreis seiner Kollegen um. Es wurde bekräftigend, wenn auch etwas zögernd genickt.
»Aber was wissen wir von dem Konflikt? Und von der angeblichen Erpressung?«, fragte Jan Hansen. »Wenn wir davon ausgehen, dann nehmen wir gleichzeitig an, dass der große Mann auch mit dem Mord an Mette zu tun hat, richtig? Wir sollten aufpassen, dass wir Arne Bay hier nicht aus der Verantwortung entlassen.«
Wagner nickte.
»Aber wir haben schon einmal von diesem großen Mann gehört. Der Barkeeper in dieser Kneipe da, wie hieß die noch gleich?«
»Bridgewater«, meldete Petersen.
»Ja, danke, Bridgewater. Gehen wir also davon aus, dass der große Mann – wer könnte dass sein? – mit Bay und Mette zusammen im Taxi gefahren ist, so wie das auch der Fahrer zu Protokoll gegeben hat. Alle waren in bester Stimmung, und in Bays Wohnung wurden Getränke gereicht.«
»Könnte es Kamm sein? Ich meine, er ist auch groß und dünn. Und hat alles andere, als mit offenen Karten gespielt«, meldete sich Ivar K zu Wort.
Wagner stellte fest, dass jeder seine Lieblingsversion hatte, die nicht zwingend auf sachlicher und objektiver Polizeiarbeit basierte. Hansen war mit Bay aneinandergeraten und hegte gegenüber Leuten wie ihm ganz offensichtlich eine natürliche Skepsis. Und Ivar K hatte durch die Gespräche mit Kamm eine ähnlich ablehnende Haltung entwickelt.
»Kamm ist eine Option, aber keine wahrscheinliche. Er hat den Sonntag bei seinen Schwiegereltern in Stilling und den Rest des Tages mit seiner Frau verbracht, was diese bereits bestätigt hat. Er hätte sich ohne ihr Wissen aus dem Haus schleichen müssen.«
Sie betrachteten die Fakten von mehreren Seiten, und dabei kristallisierte sich heraus, dass der große Mann und Bay durch ein gemeinsames Geschäft miteinander verbunden sein mussten. |323| Wagner dachte an den Stein, der in Dicte Svendsens Wohnzimmer gelandet war: »Lass die Toten in Frieden ruhen.« Sie war der Ansicht, dass Mettes Tod und die beiden fast identischen Morde in Polen und im Kosovo etwas mit dem Tod und den Toten zu tun hatte. Bay arbeitete im Krankenhaus und hatte dort jeden Tag mit kranken Menschen zu tun. Gab es da einen Zusammenhang?
»Okay. Der große Mann hatte eine Tüte mit Flunipam-Tabletten dabei und hat diese diskret in Mettes und Arne Bays Bier getan, als sie alle zusammen in Bays Wohnung in der Jægersgårdsgade waren«, entwarf Hansen das Szenario. »Das erklärt vielleicht auch, warum sich Bay nicht mehr an den Verlauf des Abends erinnern konnte.«
Wagner stimmte ihm zu.
»Aus einem bisher unerklärlichen Grund hat sich der große Mann Mette als Opfer ausgewählt.«
»Vielleicht hat ihm aber auch jemand den Auftrag dazu erteilt«, warf Ivar K ein. »Sind Hintermänner nicht mehr als wahrscheinlich, wenn wir die geographische Reichweite der Verbrechen mit einbeziehen?«
Mehrere Köpfe nickten.
»Meinetwegen. Also, der große Mann hat Mette und Bay betäubt und eine mehr oder weniger bewusstlose Mette aus der Wohnung geschleppt und in einem schwarzen Kastenwagen weggeschafft.«
»Und wohin?«, fragte Arne Petersen. »Wo hat er die Knochen und alles andere entnommen? Und hat sie auch an demselben Ort das Glasauge in den Mund gesteckt bekommen?«
»Krankenhaus«, sagte Wagner nach einer kurzen Pause. »Bays Arbeitsplatz.«
Da klingelte sein Handy.
»Wagner.«
»Willumsen hier, Polizei von Nordjütland. Soweit ich informiert bin, würden Sie sich gerne mal mit einem
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