Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
Kaiser hatte recht. Es könnte nicht schaden, herauszufinden, wie kritisch die Situation tatsächlich war. Vor allem in der Region, obwohl sie sich nicht vorstellen konnte, dass sich viele von dieser Ideologie angezogen fühlten. Liefen viele mit Hitlergruß durch die Stadt? Oder verprügelten Mitbürger |76| mit dunkler Hautfarbe mit Baseballschlägern? War das Problem wirklich so groß?
Endlich hatte sie die Hausnummer gefunden. Sie musste in den Hinterhof und ein staubiges, knarrendes Treppenhaus hoch, an dessen feuchten Wänden alte zerfetzte Filmplakate hingen. Die letzten Stufen in den dritten Stock waren nicht mehr als eine Hühnerstiege. Es roch nach Urin und vergammeltem Müll, und das Licht schien auch nicht zu funktionieren. Hier sollte man abends am besten nicht allzu betrunken nach Hause kommen.
Sie betätigte die Klingel, konnte aber kein Geräusch hören. Stattdessen klopfte sie an die Glasscheibe, die ganz grau von Fett und Dreck war und deren Einzelteile von einem Klebeband zusammengehalten wurden. Während sie wartete, wanderten ihre Gedanken zu den Details der Morde. Kosovo und Århus. Beide Opfer wurden in unmittelbarer Nähe zu Fußballstadien gefunden, die zweite Tote könnte möglicherweise mit einem Mann in Doc Martens Stiefeln in Verbindung gebracht werden. Waren dem rechtsextremen Milieu so bestialische Morde zuzutrauen? Und dann auch noch grenzübergreifend?
Sie hörte Schritte im Flur und fühlte sich sofort verdächtigt, als eine zornige Männerstimme fragte:
»Wer ist da?«
Sie räusperte sich.
»Dicte Svendsen. Die Journalistin. Ich habe gestern bei Ihnen angerufen.«
Mehrere Sicherheitsketten wurden nach einer gefühlten Unendlichkeit geöffnet. Dann schob sich die Tür einen Spaltbreit auf, und sie wurde von einem Mann gemustert. Er trug eine braune Lederweste, die sich über seinen Bauch spannte. Sein ehemals weißes Hemd war zu groß und hing über die Hose. Frederik B. Winkler sah aus wie ein Mann, der die meiste Zeit seines Lebens in geschlossenen Räumen verbracht hatte. Er war blass und hatte rote Augen, die in das Licht der nackten Glühbirne blinzelten, die im Flur hing und eine gemusterte 70er-Jahre Tapete |77| beleuchtete. Hinter ihm tauchte eine grau gestreifte Katze auf. Sie rieb sich zuerst an seinem Bein und kam dann zu Dicte.
»Man kann nicht vorsichtig genug sein. Kommen Sie rein.« Er warf die Tür hinter ihr zu, und sie spürte eine gewisse Unruhe in sich aufsteigen, als er alle Sicherheitsketten wieder sorgfältig einhängte.
»Na ja«, sagte er auf dem Weg in die dunklen Tiefen seiner Wohnung, mit ihr und der Katze im Schlepptau. »Wenn die mich wirklich umbringen wollten, würde ihnen das schon gelingen. Wollen Sie Kaffee?«
»Ja gern, danke.«
Das Wohnzimmer sah aus wie eine Studentenbude aus längst vergangenen Tagen. Braunes Samtsofa, schwerer Tisch mit Kachelplatte, ein Schemel aus cognacfarbenem Leder und eine grüne Wirtshausgarnitur aus einem runden Tisch und sechs Stühlen, die unter der Dachschräge um jeden Zentimeter kämpften. Eine Stehlampe älteren Datums und ein paar grüne Halogenlämpchen, die über dem Couchtisch hingen, gaben ihr Bestes, um den Raum zu erhellen, konnten jedoch nicht bis in die Ecken vordringen.
»Wer sollte Sie denn umbringen wollen?«
Dicte versuchte so unbeschwert wie möglich zu klingen, als wäre das ein ganz natürlicher Auftakt für eine nette Unterhaltung. Gleichzeitig überlegte sie, ob der Mann paranoid war oder tatsächlich verfolgt wurde. Sie hatte über ihn im Internet recherchiert. Er war ein Sonderling mit unkonventionellen Methoden. Er hatte sich als Lebensziel gesteckt, das Tun und Lassen der rechtextremen Szene aufzudecken. Dabei herausgekommen waren bislang einige Bücher und Artikel und, wollte man den Gerüchten glauben, auch tonnenweise Tapes und Fotos, die er unter anderem in dem halben Jahr aufgenommen hatte, wo er Günter Wallraff alle Ehre gemacht und das Milieu infiltriert hatte. Das war bereits einige Jahre her und hatte keine große Aktualität mehr, aber die Gerüchteküche sagte auch, dass Frederik Winkler weiterhin auf dem Laufenden sei, mit anderen Methoden als zuvor.
»Oh, so einige.«
|78| Er kam mit einem Becher Kaffee aus der Küche zurück und stellte ihn auf die Kachelplatte des Couchtischs vor den einzigen Sessel. Sie setzte sich. Erst jetzt bemerkte sie, dass die Wände des Wohnzimmers mit Regalen zugestellt waren, die sich vom Boden bis zur Decke erstreckten. Darin standen
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