Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
Gewicht besaßen, dann entschied die Dauer auf der Warteliste. Ausnahmen bildeten Kinder, die wurden immer vorgezogen.
»Nehmen wir mal einen arbeitslosen Immigranten, Den Besonderen Patienten aus dem Staatsgefängnis und einen ganz normalen steuergebeutelten Dänen in Lohn und Brot. Wer von ihnen sollte die Niere erhalten?«
Torben Smidt hatte ihn dabei herausfordernd angesehen.
»Es ist unsere Entscheidung«, hatte er betont. »Wir müssen wählen. Du musst wählen.«
Die Frage war nicht zu beantworten.
»Hierbei geht es nicht darum, dass der eine ein Immigrant, der andere ein Strafgefangener und der Dritte eine Stütze der Gemeinschaft ist«, hatte Janos geantwortet. »Die Frage ist, wer von diesen dreien geeignet ist, diese Niere zu erhalten.«
»Aber wenn sie alle drei gleich geeignet wären? Oder eben gleich schlecht?«
»Aber das ist unmöglich.«
»Ja, aber wenn …«
So jagten sie sich durch das Labyrinth der ethischen Konflikte.
»Dann müsste das Los entscheiden«, hatte er schließlich gesagt.
Torben Smidt hatte ihn enttäuscht angesehen.
»Wäre das nicht die einfachste Lösung? Findest du nicht, dass wir verpflichtet sind, solche Herausforderungen anzunehmen und diese Priorisierung zu leisten?«
»Wir dürfen nur aus ärztlicher Sicht bestimmten Dingen den Vorrang geben. Es ist nicht unsere Aufgabe, die großen gesellschaftspolitischen |74| Entscheidungen zu treffen, ob jene, die am meisten für die Gemeinschaft leisten, auch an vorderster Stelle stehen sollten«, hatte er sich verteidigt.
Torben hatte den Kopf geschüttelt.
»Nein, du hast recht, wir sollten das lieber dem Zufall überlassen.«
»Das ist am gerechtesten.«
»Aber nicht zwangsläufig am vernünftigsten.«
Vielleicht hatte es am Tonfall in Torben Smidts Stimme gelegen. Zum ersten Mal machte sich Janos ernsthafte Sorgen.
»Ich kann dir folgen, aber diese Haltung hat eine gefährliche Schräglage.«
Torben hatte sich vom Tisch in der Krankenhauskantine erhoben und ihn mit seinem verschlagenen Lächeln bedacht.
»Gefährlich oder nicht. Eines Tages werden wir mit so einer Situation konfrontiert werden. Oder ganz persönlich eine ähnliche Entscheidung treffen müssen. Dann wird es interessant, ob Theorie und Praxis deckungsgleich sind.«
Er schob diese Gedanken beiseite, als er sich dem Krankenzimmer Des Besonderen Patienten näherte. Er klopfte kurz an und öffnete die Tür. Peter Boutrup lag in seinem Bett und sah sehr geschwächt aus. Sein halblanges blondes Haar klebte am Kopf, und sein ansonsten muskulöser Körper hatte in letzter Zeit an Kraft verloren. Seine Haut, seine ganze Erscheinung wirkte seltsam matt und fahl. Nur seine blaugrünen Augen leuchteten mit einer seltenen Intensität, und ein nicht besonders liebenswürdiges Lächeln spielte um seine Lippen.
»Guten Tag, Peter. Wie geht es Ihnen?«
Ihre Blicke trafen sich. Der Mund begann Wörter zu formen, die wie bei einer Nachsynchronisierung verzögert zu hören waren.
»Was glauben Sie, wie es mir geht?«
Janos zog sich einen Stuhl heran und setzte sich. Innerlich verbeugte er sich vor der Todesverachtung des Mannes, die er von Anfang an ausgestrahlt hatte.
|75| »Und es ist Ihnen bisher kein Familienmitglied eingefallen, das Ihnen mit einer Spenderniere aushelfen könnte?«
Die Lippen des jungen Mannes verzogen sich zur Parodie eines Lächelns.
»Hören Sie mir gut zu, Herr Doktor Tod, ich habe Ihnen doch bereits gesagt, dass ich keine Familie habe.«
Janos zuckte mit den Schultern. Er wunderte sich zum wiederholten Mal über seine Faszination für diesen widerspenstigen Patienten.
»Es muss doch irgendwo noch Familienmitglieder geben. Vielleicht sind die sogar hilfsbereiter, als Sie denken. Wir könnten sie vom Krankenhaus aus kontaktieren und sie zu einem Gespräch einladen.«
Der Mann entblößte die Zähne mit einem leisen Knurren. Janos musste an seine Katze denken, kurz bevor sie gestorben war. Auch sie hatte noch die Kraft gehabt zu fauchen.
»Seine Niere einem Strafgefangenen geben? Einem Mann, der einen anderen Mann getötet hat? Glauben Sie, ich bin naiv?«
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Kapitel 12
Rechtsextreme Gewalt. Krawalle im Fußballstadion. Eingeworfene Scheiben eines linken Cafés. Unruhen bei einer muslimischen Hochzeit in Århus.
Dicte zählte die Ereignisse auf, während sie die Mejlgæde hinunterlief und die richtige Hausnummer suchte. Sie hatte im Internet nachgelesen, wie viele verschiedene rechtextreme Gruppierungen es gab.
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