Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
die Zeit für ein Abendessen war lange vorbei, als er endlich das Krankenhaus verließ und sich auf den Weg zu seinem Auto auf dem Parkplatz machte. Er atmete die frische Luft tief ein und meinte, die Früchte der umliegenden Felder riechen zu können. Die Müdigkeit wog schwer. Es war schon Stunden her, seitdem er das letzte Mal draußen vor der Tür gewesen war. Wenn er noch die Kraft dazu aufbringen würde, sollte er sich jetzt irgendwo in der Stadt was Leckeres zu essen holen und sich mit einem Bierchen etwas Gesellschaft leisten. Das wäre eine gute Idee.
Während er das dachte, näherte er sich seinem Wagen und bemerkte eine kleine Gestalt, die neben einem anderen Auto stand und mit einer Fernbedienung zugange war, die augenscheinlich nicht funktionierte. Er erkannte Lena Bjerregaard sofort, die jetzt einen roten, schmalen Sommermantel trug, der ihre schlanke Taille mit einem Gürtel betonte.
Er räusperte sich, sie sah hoch und schenkte ihm ein Lächeln, das eher gequält als fröhlich aussah.
»Der will nicht. Ich glaube, es ist die Batterie.«
Er war nie ein Bastler gewesen, wollte ihr aber gerne behilflich sein.
»Kannst du den Schlüssel nicht so benutzen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Habe ich probiert. Der bewegt sich überhaupt nicht.«
Er stand neben seinem Wagen, einem neuen Audi, den er sich vor einem halben Jahr gekauft hatte. Sie hatte einen Skoda Felicia. Er spürte große Lust, ihr die Fernbedienung aus der Hand zu nehmen und wünschte sich nichts sehnlicher, als sich mit Autos auszukennen. Aber alles, was er diesbezüglich in die Finger bekam, hatte leider die Tendenz, den Geist ganz aufzugeben. Also sagte er das Erstbeste, was ihm einfiel:
|181| »Bist du Falck-Mitglied?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich kann dich fahren«, schlug er vor.
»Wo wohnst du denn?«
Er wusste es natürlich schon längst, er hatte in der Adressliste nachgesehen. Und vor ein paar Tagen, als er mehr Zeit hatte, war er sogar langsam an ihrem Haus vorbeigefahren.
»Im Hoffmannsvej in Braband.«
Er hörte den Funken Hoffnung in ihrer Stimme, und dabei fiel ihm auf, dass man ihre Verfassung immer sehr schnell an ihrem Gesicht ablesen oder an ihrer Stimme hören konnte. »Würdest du das wirklich tun?«, fügte sie hinzu.
»Natürlich, komm, steig ein. Aber du solltest morgen jemanden hierherschicken und das Auto ansehen lassen.«
Er öffnete ihr die Tür, sie nickte und setzte sich so vorsichtig in den Wagen, als hätte sie noch nie zuvor in einem so teuren Auto gesessen.
Dann ließ er sich hinters Steuer gleiten. Der Motor schnurrte wie eine verwöhnte Katze, als er rückwärts aus der Parklücke rollte. Sie waren bereits eine Weile gefahren, ohne ein Wort zu wechseln, als es einfach aus ihm herausbrach.
»Ich hatte vor, einen Happen essen zu gehen … Ich …«
Er fühlte, wie ungelenk sich das anhörte, und verstummte.
»Du hast ja auch einen ganz schön langen Tag gehabt«, sagte Lena Bjerregaard, die genauso lang auf den Beinen gewesen war wie er. »Das kann ich gut verstehen.«
Er sah zu ihr. Ihre Nase war ein bisschen gebogen, aber auf eine süße Art. Ihre Lippen sahen aus, als würde sie unablässig lächeln.
»Du … Ich wollte mir ein schönes Steak gönnen und ein Bier … Du könntest ja vielleicht …«
»Ich möchte dir keine Umstände machen. Du kannst mich einfach bei der nächsten Bushaltestelle absetzen.«
»Nein, das wollte ich damit nicht sagen, ich …«
Sie sah starr nach vorn aus dem Fenster.
|182| »Das ist vollkommen in Ordnung. Stjernepladsen wäre zum Beispiel gut. Von dort fahren viele Busse, die …«
»Jetzt hör mir mal bitte zu …«
Er hatte den Randersvej erreicht. Bevor er sich umsah, hätte er den Stjernepladsen erreicht. Er sah es förmlich vor sich, wie sie aus dem Auto steigen, ihm kühl für die Fahrt danken und dann in der Dunkelheit verschwinden würde. Wie ihr roter Mantel noch einmal kurz im Licht der Laterne aufleuchten und dann plötzlich verschluckt werden würde.
»Hättest du nicht Lust … Obwohl, deine Tochter wartet bestimmt auf dich zu Hause …««
»Sie ist bei meiner Mutter.«
»Na dann. Darf ich dich nicht, bitte … Ich fände das sehr schön, wenn …«
Plötzlich brach sie in fröhliches Gelächter aus. Er wusste, dass er rot wurde, und hoffte sehr, dass sie es nicht bemerkt hatte. Soweit er sich erinnern konnte, war er das letzte Mal als Teenager rot geworden.
»Wie sollen wir es bitte schaffen, uns beim Essen zu unterhalten,
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