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Der Menschenspieler

Der Menschenspieler

Titel: Der Menschenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Lavender
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in die Augen, dann wischte er mit der Hand über seinen Mund und schluckte die Tabletten. Sie beobachtete, wie sich sein Kiefer bewegte.
    »Es muss eine ganz schöne Belästigung sein«, sagte sie, »dass wir alle wieder hier sind.«
    »Überhaupt nicht«, sagte der Pfleger. »Stanley wollte schon seit langem mal wieder Gäste haben. Wir hätten nur nie gedacht, dass es unter solchen Umständen geschehen würde.«
    »Wie lange sind Sie schon beim Dekan angestellt?«
    Der Mann schüttelte den Kopf. »Bei ihm angestellt? Wohl kaum. Stanley will mich nicht hier haben. Er will nur, dass es vorbei ist. Ich gehe jeden Tag nach oben und erwarte ihn … Er spricht jedenfalls oft darüber, hat mich sogar schon gebeten, es für ihn zu tun.« Owens Blick schweifte ab, und Alex sah auf den Schrank hinter seinem Rücken. »Ich bin jetzt seit sieben Jahren beim College angestellt. Ich war hier, als Sie alle … als Daniel Hayden starb.« Alex erinnerte sich vage an Owen als eine durch die Räume schwebende Präsenz. Sie erinnerte sich an kaum etwas von diesem Wochenende. »Damals wurde ich einfach noch nicht so sehr gebraucht. Ich habe diesen Job angenommen, nachdem ich ein Krankenhaus in Burlington verlassen hatte. Zu viel politischer Mist. Hier gibt es nur mich und dieses alte Haus.«
    »Und Dekan Fisk.«
    »Ja, und ihn«, sagte Owen tonlos. »Manchmal höre ich ihn nachts in den Korridoren, sein Rollstuhl gleitet über den Boden. Das ist der einzige Moment, in dem er sein Büro verlässt. Er sagt, er will nicht, dass ihn jemand sieht, daher versteckt er sich. Er sagt, es liegt an seinem Alter, an seinem Gesicht; angeblich soll er ja schon immer ein eitler Mann gewesen sein. Aber das glaube ich nicht.«
    »Was ist es denn dann?«
    »Ich glaube, er genießt es, sich zu verstecken. Mein Schlafzimmer liegt im dritten Stock. Manchmal ruft er nach mir, und ich gehe von Zimmer zu Zimmer auf der Suche nach ihm. Suchen. Das ist wie ein Spiel für Stanley. Ich habe genug davon, aber so habe ich wenigstens jeden Zentimeter dieses gottverlassenen Hauses kennengelernt. Und was sollte ich schon zu ihm sagen? Er ist hier eine Legende, und ich bin niemand.« Owen schaute weg, nach unten auf die abgeplatzten und verkratzten Fliesen. »Deswegen ist es hier so dunkel. Selbst wenn ich ihn bade, schimpft er mit mir, weil ich ihn ansehe.«
    »Gefällt Ihnen die Arbeit?«
    »Gefallen«, spottete der Mann verbittert, als hätte das Wort selbst eine Konsistenz, einen Geschmack. »Die meiste Zeit des Tages verbringe ich damit, die Flure auf und ab zu laufen. Sich ständig zu bewegen hält einen fit. Und natürlich lese ich.«
    »Was lesen Sie?«
    »Vor allem die Sachen, die Stanley mir empfiehlt. Die Russen. Frühe britische Literatur. Fallows natürlich.«
    »Fallows«, wiederholte sie. »Was halten Sie von ihm?«
    »Ich hasse ihn«, sagte Owen, seine Stimme wurde etwas leiser, als befürchte er, Dekan Fisk könne ihn hören. »Ich verstehe das Gewese nicht, das Sie alle um ihn machen.«
    »Fallows mag man nicht auf Anhieb.«
    Der Pfleger lachte scharf. »Das muss es wohl sein«, sagte er. »Denn ansonsten hat Stanley den größten Teil seines Lebens mit den wirren Reden eines Wahnsinnigen verschwendet.«
    Daraufhin klopfte es laut an der Haustür. Noch jemand war angekommen.
    »Ah, unsere eigene Berühmtheit – Alex Shipley.«
    Christian Kane trat durch die Tür und fasste sie am Ellbogen. Er küsste sie auf beide Wangen und lehnte sich dann zurück, um sie zu betrachten; er nickte, als habe sie einen Test bestanden. Er hatte nichts dabei außer einem gelben Schirm und einem Taschenbuch. Er roch nach der Sorte von Parfum, die Peter benutzte, und trug eine Cordjacke mit abgewetzten Ellbogen. Er hatte einen Dreitagebart, anders als auf den Fotos, die sie kürzlich von ihm in Poets & Writers gesehen hatte. Das Taschenbuch war eines seiner eigenen.
    Der Schriftsteller betrat den Salon und sah sich um, er verzog den Mund angesichts des Zustandes des Hauses. Dann sah er Alex an und hielt ihr das Buch hin. »Seite 107«, sagte er.
    Zögernd nahm sie das Buch und schlug es auf der angegebenen Seite auf. Sie hatte ein Eselsohr, und ein Abschnitt in der Mitte war wackelig unterstrichen worden.
    … als Barker die Bibliothek betrat, sah er, was dort geschehen war. Die Leiche des Professors lag auf dem Boden, gebrochen und weggeworfen wie ein Haufen Lumpen, und einen Augenblick lang wusste Barker nicht, was er da sah. Dann dämmerte es ihm, die schreckliche

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