Der Menschenspieler
Wahrheit: Der Mann war ermordet und mit Büchern bedeckt worden. Ein Stapel Bücher, ihr Gewicht seufzte auf dem Fleisch des toten Mannes, die Seiten raschelten, als wären Horden von Motten in die Texte gekrochen, um zu fressen. Selbst über den Augen des Professors lag ein Buch, das Titelbild wie eine Maske auf seinem Gesicht. Barker machte einen Schritt nach vorn.
»Warum zeigst du mir das, Christian?«
Der Mann sah sie an. Von allen Studenten, die sie bisher gesehen hatte, hatte Christian sich am wenigstens verändert. Er war immer noch der aalglatte dünne Junge, der er als Student in Jasper gewesen war. Jetzt, fünfzehn Jahre später, sah er weniger wie ein Bestsellerautor aus sondern vielmehr wie ein Mann, der eine Rolle in einer seiner eigenen Geschichten spielte. »Ist es nicht offensichtlich, Alex?«, sagte er.
»Ich fürchte nein.«
Er seufzte und schlug das Taschenbuch zu. Nachts bei Barker – der vierte Band der Serie, vor fünf Jahren geschrieben, war der, der ihr am wenigsten gefiel.
»Aldiss mochte mich nie«, sagte Kane und lehnte sich über sie. Er war dünn, und seine grau werdenden Haare waren zerzaust, er wirkte fast wie ein Junge. Nach seinem ersten Roman, Barker bei der Arbeit , der nur zwei Jahre nach seinem Abschluss in Jasper erschienen war, hatte er einen Riesenerfolg gehabt. Jetzt, nach zwölf Romanen und zwei Hollywoodverfilmungen, eine davon mit ihrem alten Freund Frank Marsden in einer kleinen Nebenrolle, war seine Karriere auf dem absteigenden Ast. Seine letzten Romane waren ohne großes Tamtam in geschmacklosen Taschenbuchausgaben erschienen, und Alex glaubte, selbst in der Art, wie sich der Mann kleidete, etwas von seinem Niedergang zu bemerken. Sogar in seinen glänzenden grünen Augen, die, seitdem sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, etwas matter geworden waren.
»Was meinst du, Christian?«
»Der Professor hat sich mir gegenüber immer abfällig verhalten.«
»Das ist einfach seine Art.«
»Nein«, sagte der Mann schneidend. »Nein, Alex. Mir gegenüber war er schlimmer. Du und Keller und der Rest, ihr wart seine Lieblinge. Seine Projekte. Ich war nur nervig. Sogar Daniel wurde in diesem Hörsaal mit mehr Respekt behandelt.«
»Ich habe ihn heute Morgen gesehen«, sagte sie. »Er glaubt nicht, dass du etwas hiermit zu tun hast.« Das stimmt nicht ganz, nicht wahr? , dachte sie und errötete leicht vor Scham über die Lüge.
Christian lachte. Seine Zähne waren gelb, voller Nikotinflecken, und sie überlegte, sich später eine Zigarette von ihm zu schnorren; auf der kurzen Fahrt von Aldiss’ Haus hatte sie ihre aufgebraucht. »Ich wohne zwanzig Minuten vom Campus entfernt«, sagte er. »Ich sehe Aldiss manchmal. Draußen. Er redet nicht mit mir. Er behandelt mich, als wäre ich ein … Geist. Und natürlich bei meiner Geschichte mit Michael …«
»Was meinst du? Welche Geschichte?«
Er sah sie merkwürdig an. Wusstest du’s denn nicht? , sagte der Blick.
»Wir haben das Spiel wieder gespielt«, sagte Christian.
Sie schnappte nach Luft.
»Sieh mich nicht so an, Alex. Es war nichts. Es war nur ein Zeitvertreib. Michael hat mich vor ein paar Jahren angerufen. Wir haben uns über alles Mögliche unterhalten. Bücher, meine Arbeit und seine, wie sich das College verändert. Und natürlich über Daniel. Dann fragte er mich, ob ich vor einer seiner Schreibklassen sprechen würde. Klar, sagte ich. Danach waren wir noch was trinken, und da hat er es mir dann erzählt.«
»Was hat er dir erzählt?«
Der Mann zögerte, es wurde ihm bewusst, dass er zu weit gegangen war. Er sagte: »Dass er jedes Wochenende nach Burlington fuhr. An die State University und manchmal sogar nach Dumant. Da haben sie immer noch das Spiel gespielt.«
»Und du hast ihn begleitet.«
»Natürlich habe ich ihn begleitet.« Christian fuhr mit dem Handrücken über seinen Mund. »Die Prozedur ist immer noch so berauschend, Alex. Macht süchtig. Wir haben beide wie alte Profis weitergemacht, auch wenn der Abendkurs schon Jahre zurücklag. Ich habe wieder Fallows gelesen, zur Übung. Ist ja nicht so, als wäre das illegal. Aber wenn du eins und eins zusammenzählst, wenn du die Indizien gegen mich zusammenträgst, dann sieht man leicht, wie Aldiss zu dem voreiligen Schluss kommen könnte, dass ich etwas mit dem Mord an Michael zu tun hatte.« Er machte eine Pause, trat einen Schritt vor, zu nah an sie heran. Zum ersten Mal begann Alex’ Herz zu pochen. Einer von ihnen ist verantwortlich. Einer
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