Der Menschenspieler
Richtung Fenster. »Ich könnte das, was du tust, nicht machen. Ich trainiere eine Footballmannschaft an einer unbedeutenden Highschool, und ich lese gar nichts. Selbst die Bücher, die meine Schüler lesen, überfliege ich nur, oder ich klaube das, was ich in den Seminaren in Jasper gelernt habe, aus dem Gedächtnis hervor.«
Verblüfft wartete Alex darauf, dass er fortfuhr.
»Ich habe Angst, wieder zu Fallows zurückzukehren, wenn ich irgendetwas lese. Und davor, dass ich dann wieder hineingezogen werde. Zack – wieder da, wieder zurück im Labyrinth. Ich werde genauso enden wie Daniel.«
Er schwieg, und der Raum vibrierte vor Stille. Dann sah er sie wieder an, versuchte, das, was er gerade gesagt hatte, mit einem Kopfschütteln auszuradieren.
»Jetzt«, sagte er, »würde ich mich gern ein bisschen ausruhen. Ich konnte gestern Nacht überhaupt nicht schlafen. Ich habe die ganze Zeit nur an Michael und Sally und die ganze Hilflosigkeit gedacht.«
»Ich auch.«
Keller lächelte, jedoch verhalten.
»Dein Zimmer ist oben«, sagte sie. »Melissa, Christian, Frank, ach, und seine Freundin.« Alex zog die Augenbrauen in Richtung erster Stock hoch. »Sie sind schon alle da oben. Ich muss in ein paar Minuten weg, aber ich kann dich hinbringen.«
Sie führte ihn zur Treppe, und als er vor ihr hinaufging, fiel ihr etwas Seltsames auf. Etwas, das sie mit mädchenhafter Scham durchschoss.
Keller trug keinen Ring.
Der letzte Student war Lewis Prine. Er war Leiter einer Anstalt der forensischen Psychiatrie in Vermont und der Mann, der ihr von dem Manuskript erzählt hatte, das Stanley Fisk angeblich in seinem Haus versteckte. Es ist dort, Alex , hatte er ihr erst vor Monaten wieder gesagt. Der dritte Fallows. Er ist irgendwo dort in diesem Haus.
Prine tauchte nie auf.
10
Der leitende Detective hieß Bradley Black, und er schien zu wissen, dass sie etwas verbarg. Sie hatten sich an diesem Nachmittag in einem Büro im dritten Stock des Towers mit dem Dekan getroffen, der sie am Abend vorher nach Vermont gerufen hatte. Alex konnte keinem der Männer in die Augen sehen.
»Erzählen Sie uns«, sagte der Detective, seine Stimme so bedächtig und einschmeichelnd wie sein Blick, »was Dr. Richard Aldiss weiß.«
»Es wird etwas dauern«, sagte sie. Auf dem ganzen Weg von Fisks Domizil über den Campus durch die gläserne spätvormittägliche Sonne hatte sie gedacht: Er hat es nicht getan. Das könnte er nicht. Jetzt, da sie mit diesen zwei seltsamen, übereifrigen Männern im von Efeu überrankten Verwaltungsgebäude des Jasper College saß, gab Alex ihr Gespräch wieder. »Der Professor behandelt alles, als wäre es ein Rätsel. Falls er weiß, wer Michael Tanner umgebracht hat, dann wird er es nicht so schnell erzählen. Man muss sich alles, was man von ihm bekommt, verdienen.«
»Verdammt noch mal«, fauchte Dekan Anthony Rice. Er sah den Detective an. »Sie müssen sich einen Durchsuchungsbefehl besorgen, zu ihm gehen und …«
»Nein«, sagte Alex. »So funktioniert das nicht bei ihm. Sie werden mich das tun lassen müssen. Falls Aldiss etwas weiß, werde ich es erfahren. Er vertraut mir.«
»Mal ehrlich, Dr. Shipley. Aldiss spielt mit Ihnen. Das tut er eben. Das letzte Mal ist er zu billig davongekommen. Er hat vielleicht nicht die zwei Studentinnen in Dumant umgebracht …«
»Das hat er nicht.«
»… aber er ist trotzdem viel zu billig davongekommen. Viele Leute an diesem College, Leute, die Aldiss sehr gut kennen, glauben, dass Blut an seinen Händen klebt.« Der Dekan machte eine Pause, und Alex wusste, was jetzt kam. »Und wenn man das weiterdenkt, auch an Ihren.«
Sie ignorierte es. »Falls er etwas weiß, dann werde ich das bald in Erfahrung bringen.«
»Wir haben vielleicht nicht so viel Zeit.«
Sie biss sich auf die Zunge. Ach was, Sherlock .
»Wie sicher sind Sie, dass er die Dumant-Morde nachstellt?«, fragte sie.
Blacks Blick wanderte zu Rice, und der Dekan nickte. Dann erschienen Fotos auf dem Walnussschreibtisch, die obersten rissig und bräunlich, die anderen glatt und warm und frisch. Alex glättete sie mit den Fingerspitzen. Sie hielt den Atem an.
Es waren Fotos vom Tatort. Die älteren hatte sie schon einmal gesehen während des Abendkurses. Kalte, hektische Bilder von zwei leeren Wohnungen. Jemand hatte das Datum mit Kreide aufgeschrieben und in die linke untere Ecke einen Block gestellt: Januar 1982. Blut klebte an den Wänden in einem Muster, das an die brennenden Schmetterlinge des
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