Der Menschenspieler
berühmten Rorschach-Tintenkleckstests erinnerte. Es gab zwei Fotoserien für die zwei Opfer, beide Literaturstudentinnen. Beide waren wie Michael Tanner in ihrer heimischen Bibliothek umgebracht worden. Sie sah sich diese Bilder nicht lange an, konnte es nicht.
Ihre Augen wanderten zu den neueren Fotos, die am vorigen Morgen gemacht worden waren. Es waren Innenansichten von Michael Tanners Haus auf der anderen Seite des Campus. Es waren Digitalfotos, glänzend und sauber, das Rorschachmuster an der Wand war nahezu identisch mit den anderen, außer dass es hier ein dunkles elektrisches Purpurrot war. Wieder lagen Bücher auf dem Boden, anscheinend im selben Muster verteilt wie bei den anderen. Ein Schwimmbecken aus Büchern stapelte sich im Raum, sorgfältig platziert und gleichmäßig verteilt. Es könnte derselbe verdammte Raum sein , dachte Alex. Dasselbe Opfer.
Aber nein, erinnerte sie sich. Die anderen beiden waren Studentinnen, wohingegen Michael …
Auch einmal ein Student gewesen war. Ein Student des Abendkurses.
»Die gleiche Vorgehensweise«, sagte Black, seine Stimme schnitt in ihren Tagtraum. »Im eigenen Haus ermordet und die Leiche mit Büchern bedeckt. Dieselbe Art von Opfer, abgesehen vom Geschlecht. Dieselbe Art von Ausbildung, sogar dieselbe Fakultät: Literatur, genauer gesagt: moderne Literatur. Wenn man die Bibliothek von Tanner über die Fotos der Wohnungen von Dumant blendet, sind die Ähnlichkeiten auffällig. Mehr als auffällig.«
Black hielt inne, taxierte sie noch einmal auf seine behutsame Art. »Wie gut kannten Sie Professor Tanner?«, fragte er. Er blätterte übertrieben seine Notizen durch, das trockene Schnalzen des Notizbuchs war das einzige Geräusch im Raum.
»Ziemlich gut. Michael und ich haben uns oft bei akademischen Konferenzen getroffen. Ich habe ihn immer für einen der brillantesten Köpfe der Komparatistik gehalten, und zwar inklusive meiner Kollegen in Harvard.«
»Hat er je mit Ihnen über Richard Aldiss gesprochen? Hat es Anzeichen dafür gegeben, dass er weiter an den Kurs dachte? Auf eine ungesunde Art, meine ich.«
»Nein. Nie.«
»Was ist mit E-Mails? Korrespondenz über den Kurs, über Aldiss oder die Dumant-Morde?«
Alex schüttelte den Kopf. »Wir alle wollten vergessen, Detective. Der Abendkurs … hat uns verändert. Manche von uns auf tiefgreifende Weise. Es war nichts, woran wir denken wollten.« Ihr alter Freund Daniel Hayden und das, was mit ihm geschehen war, schossen ihr durch den Kopf, doch sie schüttelte den Gedanken ab. »Es ist passiert und kann nicht ungeschehen gemacht werden, aber niemand möchte es noch einmal erleben.«
Sie sah etwas über Black huschen wie die Antwort auf eine Frage, die er nicht gestellt hatte. Alex wusste, dass es diese eine Formulierung war, das verdammte Wort genau in der Mitte, das wie eine Bombe tickte: verändert . Sie dachte noch einmal an ihr Treffen mit Aldiss am Morgen.
»Ich möchte die Bibliothek sehen«, sagte sie.
»Unmöglich«, sagte Rice.
»Sie bringen mich nach Jasper zurück, um Botengänge für Sie zu erledigen, Dekan Rice, und dann erzählen Sie mir nicht alles, was Sie wissen? Das nennt man mit gezinkten Karten spielen.«
»Das nennt man korrekte Vorgehensweise. Erzählen Sie uns mehr über Aldiss.«
»Der Professor glaubt, dass Sally Tanner unschuldig ist.« Eine Lüge, aber es war einen Versuch wert. Scheiß auf sie, sollten sie sie ihr nicht abkaufen. Die beiden Männer wechselten einen Blick.
»Hat er mit einem der Tanners in letzter Zeit gesprochen?«
»Sie sind dran«, sagte sie.
Black seufzte und sagte: »Sie sind ein harter Brocken, Dr. Shipley.«
Sie lächelte.
»Dieser Mörder«, fuhr Black fort, »er hat die Morde in Dumant genau studiert. Ich meine, sehr genau. Hat sie auswendig gelernt. Er hat sich nicht nur vor diesen Verbrechen verbeugt, er hat sie neu erschaffen . Alles, bis hin zum Muster des Rorschachblutflecks und den Büchern und der Zeit von Michael Tanners Tod – alles war gleich.«
Neu erschaffen , dachte Alex. Der Ausdruck war wie ein Blitz, ein winziger Punkt aus heißem Licht. Sie blinzelte zweimal fest, versuchte, ihn wegzuwischen.
»Aldiss weiß mehr, als er sagt«, warf Rice schließlich ein. Der Dekan lehnte sich vor, stützte sein Kinn mit seinen fetten Fingern. Er war ständig in Bewegung, der perfekte Gegenpol zum ruhigen, methodischen Black. »Und er weiß, dass wir das wissen. Wir werden diesen Eiertanz nicht mehr lange mitmachen, Dr. Shipley.
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