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Der Menschenspieler

Der Menschenspieler

Titel: Der Menschenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Lavender
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hypnotisieren, fangen sie einfach an zu glauben, dass er ein anderer Mann ist. Surrealismus, klar, aber Fallows wollte damit etwas anderes erreichen. Die goldene Stille hat all diese Falltüren, diese kaputten Durchgänge. In vielerlei Hinsicht ist das Buch ein Spiegelkabinett. Aber es ist auch poetisch und auf seine eigene Weise traurig.«
    »Was passiert mit ihm, wenn er rauskommt?«
    »Nicht viel«, sagte Keller. »Er lebt den Rest seines Lebens. Er schreibt und liest Lyrik. Dieser Teil ist nicht so wichtig. Was essenziell ist und was mich heute Abend, als wir in diesem Haus in der Olive Street waren, an dieses Buch denken ließ, ist das.«
    Und dann bewegte er seinen Arm und zeigte ihr die Seite, die er markiert hatte. Alex sah seine Notizen am Seitenrand. Aber sie begriff sie nicht, wenigstens noch nicht.
    »Was ist das?«
    »Das ist die Verbindung«, sagte Keller, als befände sich alles genau da, auf dieser tintenschweren Seite unter seinem kräftigen rechten Arm. »In dieser Szene spricht er mit jemandem im Gefängnis. Er erzählt ihm diese getürkte Geschichte über seine Identität, diese Lüge darüber, wer er ist. Ein flüchtiges Gespräch, denkt man. Aber …«
    »Was ist, Keller?«, drängte Alex.
    »Sieh selbst.«
    Er drehte das Buch um, und Alex rutschte so auf der Bank, dass sie genau über der Seite saß. Sie begann die Zeilen zu lesen, die Keller markiert hatte.
    Der Gefangene blickte in die Schatten. Der Wachmann stand vor seiner Zelle, sah ihn an. Die Augen des Wachmanns glühten. Alles war dunkel. Diese wilden Tiere, dachte der Gefangene, die ihn hier gefangen hielten. Er konnte es nicht erwarten, rauszukommen, sich zu befreien von diesen …
    »Wo bist du aufgewachsen, Gefangener?«, fragte der Wachmann.
    »Iowa«, sagte er. »Mittendrin.«
    »Und deine Jugend?«
    »Schwierig.«
    Der Wachmann nickte. Er hatte nichts anderes erwartet. Er war daran gewöhnt, von gestörten und gebrochenen Männern umgeben zu sein. Irgendwo tief im Gefängnis schrie ein Mann.
    »Und dein erstes Verbrechen?«, sagte der Wachmann und tippte mit einem Finger an die kalten Stahlgitter. »Deine Taufe?«
    »Diebstahl«, sagte der Gefangene langsam. »Ich habe Bücher gestohlen.«
    Der Wachmann lächelte, die Zähne öffneten sich leicht. Seine Neugier war geweckt. Dieser Mann, dieser Gefangene – er war nicht wie der Rest.
    »Und wie ist noch mal dein Name?«, fragte der Wachmann.
    Der Gefangene sah ihn an. Schätzte ihn ein. Bereitete sich auf die Lüge vor, das Märchen. Wie immer wuchs sein Herz, und die goldene Stille senkte sich herab. Er war bereit. »Mein Name«, sagte er, »ist Morrow. Dr. Isaac Morrow.«
    Sie las den Abschnitt zweimal. Dann lehnte sie sich zurück, ließ sich neben Keller auf die Bank fallen und ging die Zeilen im Kopf durch. Was geschieht hier? , dachte sie. Was macht er mit uns?
    »Ich verstehe es nicht, Keller.«
    »Lydia Rutherford«, sagte er. »Sie hat heute Abend diesen Namen benutzt. Dr. Morrow. Sie hat ihn glasklar ausgesprochen, Alex. Wir haben es beide gehört.«
    Alex starrte vor sich. Das Diner nahm sie nicht mehr wahr. »Warum sollte sie das tun?«
    »Ich habe keine Ahnung. Meine einzige Idee ist die, dass Lydia Rutherford irgendwie darin verwickelt ist. Sie versucht, uns etwas mitzuteilen, ohne es uns direkt zu sagen.«
    Die letzten übrig gebliebenen Gäste verließen das Restaurant und sahen die beiden Collegestudenten an, als wären sie Wesen von einem anderen Stern. Alex fühlte sich verunsichert, als hätte sie den Boden unter den Füßen verloren; wieder wollte sie näher an Keller rücken. Trost in seiner Wärme, seiner Stärke finden. Sie bewegte ihren Arm so, dass er seinen berührte.
    »Das Timing«, sagte sie schließlich.
    Keller sah auf. »Was ist damit?«
    Sie griff nach seinem Bleistift und machte eine Notiz auf einer Serviette. »Fallows hat Die goldene Stille in welchem Jahr geschrieben?«
    Keller schaute schnell vorn ins Buch und fand das Urheberrechtsdatum. »Fünfundsiebzig«, sagte er. Sie schrieb das Jahr auf.
    »Charlie Rutherford jun. war damals wie alt?«
    »Warte, ich erinnere mich. Lydia hat gesagt, dass er 74, als sein Vater gestorben ist, neun Jahre alt war.«
    »Das bedeutet, er wurde Mitte der Sechziger geboren. Und sie hat uns gesagt, dass Dr. Morrow ihn behandelt hat, nachdem ihr Ehemann gestorben war. Falls Charles Rutherford Fallows ist, woher konnte er dann von Morrow wissen?«
    Keller sagte nichts. Er sah nach unten, starrte auf die

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