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Der Menschenspieler

Der Menschenspieler

Titel: Der Menschenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Lavender
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wie eine Peitsche. »Vertrau mir: Du hättest es nicht lesen wollen. Du hättest nicht wissen wollen, was Fallows mit diesem Buch getan hat.«
    Sie sah ihn an. »Und, hast du es getan?«, fragte sie. »Hast du es gelesen?«
    Fast unmerklich nickte er.
    »War es ein Fallows?«
    »Ja.«
    Wut. Sie spürte sie wieder, sie schmeckte wie Säure auf ihrer Zunge. Sie hörte sich schreien; das Geräusch stammte irgendwie nicht von ihr, war ursprünglich, schrecklich. Wieder drängte sie gegen ihn, grub ihre Fingernägel tiefer in die Haut seiner Hände. Als sie sprach, klang ihre Stimme angespannt. Hässlich. »Worum ging es, Keller? Oder ist das noch eines deiner Geheimnisse?«
    Zuerst sagte er nichts. Der Ast kratzte an der Fensterscheibe neben ihnen. Sein Puls zuckte in seinen Handgelenken wie ein Faden, der aufgewickelt wurde. Da standen sie, ineinander verhakt wie in einer Art erstarrtem Tanz. Als er sprach, klang seine Stimme mitleidsvoll. Sie kannte den Tonfall; Keller hatte ihn immer benutzt, wenn sie als Studenten über Aldiss gesprochen hatten.
    »Es ging um uns«, sagte er.
    Sie blinzelte. »Ich verstehe nicht, was du da sagst, Keller.«
    »Es ging um das, was hier geschieht, Alex. Um dieses Haus, diese Morde. Der Roman war … er war eine Art Krimi, ein Kammerspiel. Es ging um eine Gruppe alter Freunde, die zusammenkommen, und jeder einzelne wird umgebracht. Einer nach dem anderen.«
    Sie starrte ihm ins Gesicht, suchte nach Worten, um zu begreifen, was er ihr erzählte.
    Es tut mir leid, Alex, aber ich glaube, ich habe euch direkt in seine Falle geführt.
    »Willst du damit sagen, dass Fallows hinter alldem steckt?«, fragte sie. »Fallows ist tot, Keller. Das weißt du genauso gut wie ich.«
    Keller wankte. Dann sagte er: »Ich zeig’s dir.«
    Zuerst rührte sie sich nicht. Sie hielt ihn fest, zog mit all ihrer Kraft an ihm. Aber dann gab sie nach. Nach und nach zog sie sich zurück, bis er frei war. Er massierte seine Hände, wo sie ihn gekratzt hatte. Ich muss es sehen , dachte sie. Wenn ich mir je vergeben will, dass ich ihn das Manuskript habe finden lassen, dann muss ich sehen, was er aufgehoben hat.
    Vorsichtig trat sie zurück. Keller drehte sich um und ging zu einem kleinen Schreibtisch in der Zimmerecke. Er öffnete eine Schublade und nahm etwas heraus. Es war ein vergilbtes Blatt Papier. Als er es für sie hochhielt, fiel das Licht hindurch und ließ eine ungebrochene, tief eingeprägte Schrift erkennen. Er hielt die Seite von sich weg, als könne sie ihn infizieren.
    »Eine Seite«, wiederholte er. »Das ist alles, was davon übrig ist.«
    Er legte sie auf die Kommode neben ihr. Im Halbdunkel las Alex:
    Sie waren neun. Seine Aufgabe war es nun, sie alle zu versammeln. Aber wie?
    Diese Frage hatte ihn in den letzten Monaten umgetrieben. Er wartete auf eine Art von besonderem Wissen – auf ein Geheimnis, das ihm ein Fremder im Vorbeigehen zuflüsterte, auf einen Zettel, der ihm in der Bibliothek überreicht wurde, in der er seine Abende verbrachte –, das ihm erläutern würde, wie er es bewerkstelligen sollte. Stattdessen gab es da nichts als endlose Tage voller Verwirrung, ohnmächtige Nächte, in denen er verschwitzt dalag und den Plan in Gedanken durchging. Und dann, fast zufällig, fiel es ihm ein. Sie könnten alle zurückkehren, um zu trauern. Vielleicht hatte er sich rückwärtsbewegt, hatte seinen Plan am falschen Ende begonnen und versucht, ihn durch das Nadelöhr zu fädeln. Hier war die Möglichkeit: Gib ihnen einen Grund zurückzukehren. Und plötzlich wusste er, wie; wie eine schwarze Glasscherbe steckte der erste Akt in seiner dunklen Natur. Einer von ihnen würde sterben – vielleicht ein Selbstmord, damit keine Fragen über ihn gestellt würden –, und dann könnte er richtig anfangen. Die acht würden unausweichlich in das alte Haus zurückkehren, und er wäre dort, würde auf sie warten, sie beobachten.
    Alex las die Seite – und dann noch einmal. Sie fuhr mit dem Finger über die runde Schrift. Sogar die Wörter, wie sie angeknackst und zerbrochen waren und wie ein kaputtes Scharnier schief hingen – die schrägen E , hektische und durchgestrichene Zeilen –, waren von einer unverkennbaren Intensität. Hatten einen Puls. Es ist Fallows .
    »Das Ende«, sagte sie dann, ihre Stimme nur ein hohles Krächzen.
    Langsam schaute Keller auf.
    »Wie geht es aus?«
    Er sah sie an, als suche er nach Worten, um diese entsetzliche Sache in eine Art Kontext zu setzen. »Sie

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