Der Menschenspieler
…«
»Sag’s mir, Keller.«
»Sie sterben alle. Alle, bis auf einen.«
Sie wartete darauf, dass er weitersprach. Es war das Letzte, was sie hören wollte, aber sie konnte sich nicht abwenden. Nicht jetzt.
»Es war Fallows selbst, Alex. Die letzte Zeile dieses« – er verzog das Gesicht, als hätte er einen widerlichen Geschmack im Mund – »verdammten Dings besagte, dass Fallows überlebt. Der Autor selbst ist der Erzähler. Er hat sie alle umgebracht und konnte aus dem alten Haus fliehen. Aldiss muss das Manuskript bekommen haben. Es umgesetzt haben. Das Spiel wieder ins Laufen gebracht haben.«
Das traf sie in der Magengrube. Sie machte einen Schritt zurück, krümmte sich fast. Das Spiel. Es ist Aldiss. Aldiss war die ganze Zeit über hier. Aldiss hat das Cyndrot erschaffen .
Aber dann sah sie zu Keller hoch. Sie sah ihn, wie er das Manuskript ins Feuer wirft, beobachtet, wie es verbrennt, das Papier in Fetzen zerfällt und die Flammen hochlodern. Sie sah ihn lächeln.
»Du lügst«, sagte sie.
Keller zuckte zusammen. Er sah aus, als hätte man ihn geschlagen.
»Das ist alles Mist. Ich glaube kein Wort von dem, was du gesagt hast.« Er griff nach ihr, und sie riss ihre Hand weg. »Wage es nicht, oder ich schreie. Ich werde verdammt noch mal schreien und ihnen erzählen, dass du derjenige bist, der das getan hat. Dass du der Grund dafür bist, dass wir alle in diesem Haus festgehalten werden.«
»Alex …«
Aber sie ging weg, verließ das Zimmer. Draußen auf dem Flur, vor Zorn verwirrt, sah sie einen Mann am anderen Ende des Korridors stehen, im Schatten verborgen. Es war wieder Frank.
»Du hast mich zu Tode erschreckt«, sagte sie.
Der Mann sagte nichts. Er sah aus einem Lukenfenster hinunter auf den Rasen vor dem Haus. Alex ging den Korridor entlang, und Frank rührte sich immer noch nicht. Er stand da, lehnte sich an eine Wand und sah hinaus …
Alex blieb stehen.
Sie starrte Frank an.
Dachte: Nein .
Sie sah genauer hin. Ihr fiel die unnatürliche Art auf, wie sein Kopf gebogen war, wie sein Kinn in einem seltsamen Winkel angehoben war. Dann sah sie etwas im Fenster glitzern; das Ding reflektierte das Mondlicht und verlief nach oben wie Spinnweben. Und Alex folgte dem Ding ganz nach oben, zum oberen Ende der Luke, das nach innen gedrückt war. Sah dort einen Draht festgemacht, straff an die Fensterscheibe gespannt.
Sie schrie nach Keller.
Iowa
1994
41
»Was fehlt Lydias Sohn, Dr. Locke?«
Auf Kellers Frage hatten sie sich die letzte halbe Stunde zubewegt. Locke öffnete sich den beiden. Vielleicht lag es daran, dass er wieder unter Studenten war; vielleicht wollte er einfach nur zum ersten Mal seit Jahren wieder über Fallows diskutieren. So oder so bemerkte Alex eine Veränderung an dem Mann. Er hatte angefangen, ihnen zu vertrauen.
»Niemand weiß das sicher«, erklärte der Professor. »Meine Vermutung ist paranoide Schizophrenie. Aber ich habe nicht genug Zeit mit ihm verbracht, um sicher zu sein. Sie hat ihn in diesem Haus in der Olive Street versteckt. Jedes Mal, wenn ich ihn gesehen habe, hat er sich Zeichentrickfilme angeschaut, wie ein Kind.«
»Stimmt es, dass er eine Zeitlang in einer Anstalt war?«, fragte Keller.
»Das stimmt. Aber Lydia war davon überzeugt, dass diese Erfahrung dem Jungen schaden würde, dass sie ihn allein großziehen könnte. Also brachte sie ihn nach Hause, und dort ist er seitdem immer gewesen.«
»Und jetzt ist er dreißig.«
»Neunundzwanzig, glaube ich. Genau das Alter von Charles Rutherford, als er starb.«
Alex sah den alten Professor an. Sie waren so nah dran, aber noch nicht ganz am Ziel. Sie konnte es spüren, spürte Richard Aldiss’ Einfluss aus seiner Gefängniszelle. Er hatte etwas Neues in Erfahrung gebracht. Locke hingegen schien schon vor Jahrzehnten aufgehört zu haben zu suchen, so sicher war er sich, dass Charles Rutherford Paul Fallows war.
»Der Doktor«, sagte sie jetzt. »Dr. Morrow.«
Locke sah sie an. »Junge Dame, ich befürchte, ich …«
»Fallows hat den Namen in Die goldene Stille benutzt, und Lydia Rutherford hat ihn auch erwähnt. Dr. Morrow hat Charlie behandelt.«
Locke sah bestürzt aus. »Ich glaube nicht«, sagte er langsam, »dass Sie etwas erreichen werden, wenn Sie den ›Hinweisen‹ in diesen Büchern folgen. Die Leute suchen seit Jahren, aber sie haben nichts Wesentliches gefunden. Der Himmel weiß, dass ich einen großen Teil meines Lebens genau damit zugebracht habe. Meine Theorie ist korrekt:
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