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Der menschliche Körper

Der menschliche Körper

Titel: Der menschliche Körper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Giordano
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durch ein Wunder unversehrt.
    Er hat Torsu zugerufen, er solle jede Minute mit dem Arm Zeichen geben, dass er noch am Leben und bei Bewusstsein ist. Sollte ein Zeichen ausbleiben, müsste der Oberleutnant sich etwas ausdenken, eine rasche Bergungsaktion. Jemand müsste mit ihm sein Leben aufs Spiel setzen. Aber Torsu hebt eifrig die rechte Hand und lässt sie auf den Boden fallen. Sieben Mal insgesamt.
    Ich bin noch am Leben.
    Ich bin noch am Leben.
    Ich bin noch am Leben.
    Ich bin noch am Leben.
    Ich bin noch am Leben.
    Ich bin noch am Leben.
    Ich bin noch am Leben.
    Ausreichend Zeit für die Hubschrauber, die letzten Feinde zu vertreiben, zur Sicherheit ein paar Runden zu drehen und die Landung zu versuchen, ein, zwei, drei Mal, ohne Erfolg. Beim vierten Mal gelingt es einem der Black Hawks aufzusetzen, da zieht der andere wieder hoch und kreist in großen Schleifen über dem Geschehen.
    Egitto wird von wer weiß wo per Funk verlangt, von einem Posten in Hunderten Kilometern Entfernung, mitten in einer anderen abscheulichen Wüste, wo die Funker aber Becher voll dampfenden Kaffees neben der PC -Tastatur stehen haben. Die Stimme gibt ihm Anweisungen in nachsichtigem Tonfall, wie man ihn einem Kind gegenüber verwenden würde, das sich in einem entlegenen Stadtrandviertel verlaufen hat, einem Kind, das nicht mehr weiß, wo es ist: «Er ist der Arzt, richtig? Okay, es ist ein Vergnügen, mit ihm zu sprechen, alles wird gut, sie werden euch da rausholen, ihr müsst nur die Anweisungen genau befolgen. Vorerst ruhig halten, wartet darauf, dass das Zeichen Weg frei gegeben wird. Wenn die Gegend gesäubert ist, werden Sie, Herr Oberleutnant … Sie sind Oberleutnant, stimmt’s? Und wie heißen Sie, Herr Oberleutnant? Gut, Oberleutnant Egitto. Suchen Sie sich ein paar Ihrer Männer aus, versetzen Sie sie in Bereitschaft, und wenn wir Ihnen das Signal geben, laufen Sie gemeinsam hinüber und bergen die beiden Verletzten. Sie werden sehen …»
    «Einer der beiden ist nicht verletzt», unterbricht Egitto. «Ich glaube, er ist …», aber er kann nicht zu Ende sprechen. Könnte er noch am Leben sein, nach der Anzahl der Kugeln, die ihn getroffen haben, und nach der Art, wie er zusammengesackt ist? Nein, das könnte er nicht.
    Die Stimme aus dem Funkgerät fährt fort, in phlegmatischem Tonfall. «Den Verletzten und den Gefallenen also. Nachdem Sie alles getan haben, um den Verletzten zu versorgen, laden Sie beide in den Hubschrauber.»
    Egitto spürt, wie er am Arm gepackt wird. Er dreht sich um zu René. «Der Leichnam bleibt bei uns», sagt der Feldwebel.
    «Aber …»
    «Die Jungs würden mir das nicht verzeihen.»
    Egitto versteht Renés Anliegen und versteht es nicht. Gemeinschaftssinn ist etwas, was er immer nur von außen betrachtet hat. Die Entscheidung liegt jedenfalls bei ihm, er hat das Kommando. Er kennt die Vorschriften für eine solche Situation nicht, aber er hat den Eindruck, dass die Forderung des Feldwebels gegen eine Reihe von Vorschriften verstößt. Wen schert das?
    «Der Leichnam bleibt bei uns.»
    «Das ist nicht möglich, Herr Oberleutnant», entgegnet die Stimme im Funkgerät etwas gereizt.
    «Ich habe gesagt, er bleibt bei uns. Oder wollen Sie ihn persönlich abholen kommen?»
    Einige Sekunden lang rauscht das Gerät bloß. Dann sagt die Stimme: «Verstanden, Oberleutnant Egitto. Warten Sie auf das Signal.»
    Nach seinem Aussehen zu urteilen, ist Renés Gefühlszustand nicht der beste. Seine Lippen sind blutleer, das Gesicht ist sehr blass, der Kopf schaukelt vor und zurück, als hätte er mit einem Mal beginnenden Parkinson. Egitto reicht ihm die Wasserflasche und befiehlt ihm zu trinken, dann trinkt er selbst auch – man muss für ausreichende Flüssigkeitszufuhr sorgen, darf nicht aufhören, das Notwendige zu tun.
    Er muss die folgende Aktion planen. Er erklärt dem Feldwebel: «Sie und ich laufen hin, zusammen mit einem von den Männern, nur einem. Je weniger wir da in der Mitte sind, umso besser ist es für alle. Wir kümmern uns um die ganz gebliebenen Körper. Zunächst nehmen wir den Leichnam von dem Jungen runter. Wie heißt er?»
    «Ietri. Roberto Ietri.»
    «Gut. Wir versorgen den Verwundeten und legen ihn auf die Trage des Hubschraubers. Können Sie Blut sehen, Feldwebel, offene Wunden und blank liegende Knochen?»
    «Sicher.»
    «Es ist nicht schlimm, wenn Sie das nicht aushalten, viele schrecken davor zurück, aber dann müsste ich jemand anderen mitnehmen. Ich brauche Sie bei

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