Der menschliche Makel
Personalabteilung ging, um Näheres über Faunias persönliche Verhältnisse zu erfahren, als sie von dem Exmann und dem schrecklichen Tod ihrer beiden Kinder erfuhr - sie waren in einem mysteriösen Feuer umgekommen, das, wie einige vermuteten von ebenjenem Exmann gelegt worden war -, als sie las, dass diese Frau Analphabetin war und daher nur die niedrigsten Arbeiten in der Putzkolonne tun konnte, begriff sie, dass es Coleman Silk gelungen war, den Traum eines jeden Frauenhassers zu verwirklichen: In Faunia Farley hatte er eine Frau gefunden, die noch wehrloser war als Elena oder Tracy, eine Frau, wie geschaffen, um vernichtet zu werden. Für jede Frau, die es je gewagt hatte, seinem lachhaften Beharren auf irgendwelchen Vorrechten die Stirn zu bieten, würde Faunia Farley jetzt büßen müssen.
Und niemand, der ihn aufhält, dachte Delphine. Niemand, der ihm entgegentritt.
Ihr war klar, dass er nicht in die Zuständigkeit des Colleges fiel und nicht davon abgehalten werden konnte, sich an ihr zu rächen - ja, an ihr , und zwar für alles, was sie unternommen hatte, um ihn daran zu hindern, Studentinnen zu terrorisieren, sowie für die Rolle, die sie bereitwillig gespielt hatte, als er seiner Autorität entkleidet und von der Lehrtätigkeit suspendiert werden sollte. Sie konnte ihre Empörung kaum beherrschen. Faunia Farley war ein Ersatz für sie, Delphine Roux. Er gebrauchte Faunia Farley, um zurückzuschlagen. An wen erinnern ihr Gesicht, ihr Name und ihre Statur, wenn nicht an mich - sie ist geradezu mein Spiegelbild, bei ihrem Anblick kann einem Niemand anders einfallen. Indem Sie eine Frau umgarnen, die wie ich am Athena College arbeitet, die wie ich weniger als halb so alt ist wie Sie - und die doch eine Frau ist, die in jeder anderen Hinsicht mein Gegenteil darstellt, haben Sie schlau verborgen und zugleich schamlos enthüllt, wen Sie in Wirklichkeit vernichten wollen. Sie sind nicht so unbedarft, dass Sie das nicht wüssten, und in Ihrer erhabenen Position sind Sie rücksichtslos genug, um es zu genießen. Aber auch ich bin intelligent genug, zu erkennen, dass Sie es auf ein Ebenbild von mir abgesehen haben.
Die Erkenntnis war so unvermittelt gekommen, die Sätze waren so spontan aus ihr herausgebrochen, dass sie, als sie den Brief am Fuß der zweiten Seite unterschrieb und einen Umschlag an Coleman Silks Postfach adressierte, noch immer kochte bei dem Gedanken an die Bösartigkeit, mit der er diese schrecklich benachteiligte Frau, die bereits alles verloren hatte, zu einem Spielzeug machte, mit der er ein gequältes menschliches Wesen wie Faunia Farley aus einer Laune heraus in eine Puppe verwandeln konnte, um sich an ihr , Delphine, zu rächen. Wie war selbst ein Mensch wie er zu so etwas fähig? Nein, sie würde keine Silbe ihres Briefes zurücknehmen, und sie würde sich auch nicht die Mühe machen, ihn mit der Maschine zu schreiben, damit er ihn besser lesen konnte. Sie wollte die Botschaft des Briefes, grafisch demonstriert durch die getriebene, gehetzte Neigung der Buchstaben, nicht mildern. Coleman Silk sollte ihre Entschlossenheit nicht unterschätzen: Für sie gab es jetzt nichts Wichtigeres mehr, als ihn als das zu entlarven, was er wirklich war.
Doch schon zwanzig Minuten später zerriss sie den Brief. Zum Glück. Zum Glück. Wenn ungezügelter Idealismus sie überkam, war sie nicht immer imstande, ihn als Fantasie zu betrachten. Natürlich hatte sie recht, einen derart verwerflichen Frauenverderber zu verdammen. Aber die Vorstellung, eine so tief gefallene Frau wie Faunia zu retten, wo sie doch nicht einmal imstande gewesen war, Tracy zu retten? Die Vorstellung, sich gegen einen Mann zu behaupten, der in der Verbitterung seines Alters nicht nur frei war von allen institutionellen Zwängen, sondern auch - Humanist, der er war! - alle menschlichen Regungen abgelegt hatte? Wenn sie glaubte, sie sei Coleman Silks Schlichen gewachsen, täuschte sie sich sehr. Selbst ein so offensichtlich im Affekt der moralischen Abscheu geschriebener Brief, ein Brief, in dem ihm unmissverständlich mitgeteilt wurde, dass sein Geheimnis entdeckt und er selbst demaskiert, entlarvt und gestellt war, würde in seinen Händen zu etwas verdreht werden, mit dem er sie kompromittieren und - falls sich die Gelegenheit ergab - regelrecht ruinieren konnte.
Er war rücksichtslos und paranoid, und sie musste, ob es ihr gefiel oder nicht, Gegebenheiten berücksichtigen und Überlegungen anstellen, von denen sie sich
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