Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der menschliche Makel

Der menschliche Makel

Titel: Der menschliche Makel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Roth
Vom Netzwerk:
Schweine, die alles in Sekundenschnelle geändert haben. Die dein Leben genommen und es weggeworfen haben. Sie haben dein Leben genommen, und dann haben sie beschlossen, es wegzuwerfen. Du bist zu dem richtigen Tanzmädchen gekommen. Sie entscheiden, was Müll ist, und sie haben beschlossen, dass du Müll bist. Sie haben einen Mann gedemütigt und erniedrigt und vernichtet, und zwar wegen einer Sache, von der jeder wusste, dass es ein Scheißdreck war. Wegen einem kleinen Pisswort, das ihnen egal war, vollkommen egal. Und das bringt einen in Rage.«
    »Ich wusste gar nicht, dass du so gut aufgepasst hast.«
    Sie lacht ihr unbeschwertes Lachen. Und tanzt. Ohne den Idealismus, ohne die Idealisierung, ohne all den Utopismus des süßen jungen Dings, trotz allem, was sie über die Wirklichkeit weiß, trotz der unumkehrbaren Vergeblichkeit, aus der ihr Leben besteht, trotz allem Chaos und aller Abgestumpftheit tanzt sie! Und spricht, wie sie nie zuvor mit einem Mann gesprochen hat. Frauen, die ficken wie sie, sprechen doch nicht so - jedenfalls denken das die Männer, die Frauen wie sie nicht ficken. Und die Frauen, die nicht ficken wie sie, denken das auch. Das denken alle: die dumme Faunia. Sollen sie doch. Von mir aus. »Ja, die dumme Faunia hat gut aufgepasst«, sagt sie. »Wie soll die dumme Faunia denn sonst zurechtkommen? Die dumme Faunia zu sein - das ist meine Leistung, Coleman. Das bin ich, wenn ich am vernünftigsten bin. Und jetzt stellt sich heraus, Coleman, dass ich dir beim Tanzen zugesehen habe. Woher ich das weiß? Weil du mit mir zusammen bist. Warum sonst solltest du mit mir Zusammensein, wenn nicht, weil du so verdammt wütend bist? Und warum sonst sollte ich mit dir Zusammensein, wenn nicht, weil ich so verdammt wütend bin? Darum ficken wir so gut, Coleman. Wegen der Wut, die alles ausgleicht. Also verlier sie nicht.«
    »Tanz weiter.«
    »Bis zum Umfallen?«, fragt sie.
    »Bis zum Umfallen«, sagt er. »Bis zum letzten Atemzug.«
    »Was immer du willst.«
    »Wo habe ich dich gefunden, Voluptas?«, sagt er. » Wie habe ich dich gefunden? Wer bist du?« fragt er und drückt die Taste, worauf The Man I Love von neuem beginnt.
    »Ich bin, was immer du willst.«
    Coleman las ihr lediglich aus der Sonntagszeitung etwas über den Präsidenten und Monica Lewinsky vor, als Faunia aufsprang und rief: »Kannst du dein verdammtes Seminar nicht mal lassen? Schluss mit dem Seminar! Ich kann nicht lernen! Ich werde nicht lernen! Ich will nicht lernen! Hör auf, mir was beizubringen zu wollen, verdammt - das funktioniert nicht!« Und damit rannte sie mitten unter dem Frühstück davon.
    Es war ein Fehler, hierzubleiben. Sie ist nicht heimgefahren, und jetzt hasst sie ihn. Was hasst sie am meisten? Dass er tatsächlich findet, sein Leiden sei eine große Sache. Er glaubt tatsächlich, dass das, was die Leute denken und was am Athena College über ihn gesagt wird, sein Leben zerstört. Dabei sind das doch bloß ein paar Arschlöcher, die ihn nicht mögen - das ist nicht schlimm. Und für ihn ist es das Allerschlimmste, was ihm je passiert ist? Nein, es ist nicht schlimm. Zwei erstickte Kinder, das ist schlimm. Ein Stiefvater, der einem die Finger in die Möse steckt, das ist schlimm. Seinen Job zu verlieren, wenn man sowieso auf den Ruhestand zusteuert, ist nicht schlimm. Das hasst sie an ihm: die Privilegiertheit seines Leidens. Er glaubt, er hätte nie eine Chance gehabt? Es gibt echten Schmerz auf dieser Welt, und er denkt, er hätte nie eine Chance gehabt? Weißt du, wann du keine Chance hast? Wenn er nach dem morgendlichen Melken ein Eisenrohr nimmt und dir damit eins überbrät. Ich hab's nicht mal kommen sehen - und er hatte auch keine Chance! Das Leben schuldet ihm was!
    Letztlich läuft es darauf hinaus, dass sie beim Frühstück nichts beigebracht kriegen will. Die arme Monica wird in New York vielleicht keinen guten Job finden? Weißt du was? Das ist mir egal. Glaubst du vielleicht, es kümmert Monica, dass mir der Rücken wehtut, wenn ich nach meinem Tag im College auch noch diese verdammten Kühe gemolken hab? Wenn ich im Postamt den Dreck anderer Leute weggeputzt hab, bloß weil sie zu faul sind, ihn in den Scheißmülleimer zu werfen? Glaubst du, Monica kümmert das? Sie ruft immer noch andauernd im Weißen Haus an, und es muss wirklich ganz schrecklich sein, dass niemand zurückruft. Und für dich ist es vorbei? Und auch das ist schrecklich? Für mich hat es nie angefangen. Es war vorbei, bevor es

Weitere Kostenlose Bücher