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Der menschliche Makel

Der menschliche Makel

Titel: Der menschliche Makel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Roth
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zuvor freiwillig gefassten Entschluss bewirkt hatte, und so gelang es mir, den postoperativen Schock angesichts lebenslänglicher Impotenz ein wenig zu dämpfen. Die Operation hatte bloß ein Festhalten an einer Entscheidung erzwungen, die ich aus eigenen freien Stücken getroffen hatte, zwar unter dem Eindruck der Verstrickungen, denen ich mich ein Leben lang ausgesetzt hatte, aber doch in einer Zeit ungezügelter, tatkräftiger, rastloser Potenz, als die risikoverachtende männliche Besessenheit, den Akt zu wiederholen - und zu wiederholen und zu wiederholen und zu wiederholen - durch keinerlei physiologische Probleme eingeschränkt gewesen war.
    Erst als Coleman mir von sich und seiner Voluptas erzählte, löste sich die tröstliche Selbsttäuschung, ich könne durch vernunftgesteuerte Entsagung zu einer heiteren Gelassenheit gelangen, in nichts auf, und ich verlor ganz und gar mein inneres Gleichgewicht. Bis in die Morgenstunden lag ich wach, unfähig wie ein Verrückter, meine Gedanken zu steuern. Das Bild dieses Paars stand mir vor Augen, und ich verglich das, was die beiden miteinander erlebten, mit meinem eigenen jämmerlichen Zustand. Ich lag wach und unternahm nicht einmal den Versuch, mich davon abzuhalten, mir die »grenzüberschreitende Kühnheit« auszumalen, die Coleman sich weigerte aufzugeben. Und dass ich wie ein harmloser Eunuch mit diesem noch immer vitalen, potenten Teilnehmer am wilden Treiben getanzt hatte, war nun alles andere als eine charmante Selbstironie.
    Wie kann man sagen: »Nein, das gehört nicht zum Leben«, wenn es doch immer dazugehört? Die Kontaminierung durch Sex, die erlösende Verschmutzung, welche die Spezies entidealisiert und uns immer wieder daran erinnert, aus welchem Stoff wir gemacht sind.
    Mitte der folgenden Woche bekam Coleman den anonymen Brief, der nur aus einem Satz bestand, aus Subjekt, Prädikat und zugespitzt formulierten näheren Bestimmungen, mit großen, fetten Buchstaben auf ein Blatt weißes Schreibmaschinenpapier geschrieben - eine aus siebzehn Wörtern bestehende Nachricht, die eine Anklage sein sollte und die ganze Seite einnahm:

    Jeder weiß, dass Sie eine misshandelte,
    analphabetische Frau,
    die halb so alt ist wie Sie,
    sexuell ausbeuten.

    Sowohl der Brief als auch die Adresse auf dem Umschlag waren mit rotem Kugelschreiber geschrieben. Trotz des New Yorker Poststempels erkannte Coleman die Handschrift sofort als die der jungen Französin, die, als er vom Posten des Dekans zurückgetreten war und seine Lehrtätigkeit wieder aufgenommen hatte, zur Leiterin des Fachbereichs gewählt worden war und sich später als eine derjenigen erwiesen hatte, die am heftigsten darauf drängten, ihn als Rassisten zu entlarven und für die Beleidigung seiner abwesenden schwarzen Studenten zu maßregeln.
    In seinen Dunkle-Gestalten -Unterlagen fand er auf mehreren Dokumenten handschriftliche Vermerke, die seinen Verdacht bestätigten, dass der anonyme Brief von Professor Delphine Roux stammte, der Leiterin des Fachbereichs Sprach- und Literaturwissenschaft. Sie hatte die ersten Wörter in Druckbuchstaben geschrieben, doch abgesehen davon hatte sie nach Colemans Meinung keinerlei Bemühungen unternommen, ihre Spur zu verwischen, indem sie ihre Schrift verstellte. Sie mochte den Brief in dieser Absicht begonnen haben, hatte dieses Vorhaben aber nach den Wörtern »Jeder weiß« entweder aufgegeben oder vergessen. Auf dem Briefumschlag hatte die aus Frankreich stammende Professorin sich nicht einmal die Mühe gemacht, den verräterischen europäischen Querstrich der Sieben in Colemans Hausnummer und Postleitzahl wegzulassen. Diese Nachlässigkeit, diese eigenartige Gleichgültigkeit gegenüber der Geheimhaltung der eigenen Identität in diesem immerhin anonymen Brief war vielleicht durch eine sehr große Erregung zu erklären, die es ihr unmöglich gemacht hatte, vor der Versendung des Briefes über das, was sie da tat, nachzudenken - nur dass er offenbar nicht übereilt und hier im Ort aufgegeben, sondern, wie der Stempel bewies, zuvor zweihundert Kilometer nach Süden transportiert worden war. Vielleicht hatte Delphine Roux gedacht, ihre Handschrift sei nicht so ausgeprägt oder exzentrisch, dass Coleman sich aus seiner Zeit als Dekan noch daran erinnern könne; vielleicht hatte sie nicht daran gedacht, dass die seinen Fall betreffenden Unterlagen auch die handschriftlichen Notizen zu ihren beiden Gesprächen mit Tracy Cummings enthielten, die sie der

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