Der Messingmann
Killerprogramm hinüberschlängelte, wie es über hundert Kanäle in die Software seines Verstandes eindrang und von dort in sein künstliches Nervensystem übersetzte. Schulter und Arm taten allmählich weh. Das musste psychosomatisch sein, denn Schmerzen kannte er seit mehr Jahren nicht mehr, als er zurückzudenken bereit war. Und langsam übertrug sich Jerusalems Jägerkiller in den Computer des Kolonialschiffes, löschte alte Daten und Programme und machte sich überall dort breit, wo er Platz fand, um dort im Dunkeln zu lauern wie eine Minierspinne.
Als es vorbei war, bemerkte Fethan, dass er die Augen geschlossen hatte. Er öffnete sie, zog den Finger aus dem Stecker und stellte fest, dass sich das Metall vor Hitze verfärbt hatte. Er blies darauf, bis es wieder kühl genug war, um das Synthofleisch darüber zu ziehen und festzumachen. Es wäre schön gewesen, dachte er, wenn seine Beteiligung an der Sache damit beendet gewesen wäre.
Alles fertig?, fragte er.
Alles fertig, antwortete das Killerprogramm, das noch in ihm hauste.
Vor einiger Zeit hatte sich Fethan in der törichten Hoffnung gewiegt, dass er so etwas vielleicht nur einmal tun musste. Aber in einem Zeitalter, in dem selbst Menschen kopiert und transkribiert werden konnten, war es ein Kinderspiel, Kopien eines Killerprogramms zu senden, das er in sich trug - obwohl das womöglich kein Spiel war, an dem irgendjemand seine Kinder beteiligt sehen wollte. Er drehte sich jetzt um und sah Cento hinter sich, der ihn anblickte.
»Hast du eine glaubhafte Erklärung für dieses verdächtige Verhalten?«, fragte der Golem. »Jerusalem … das ist alles, was mir an Erklärung einfällt, also … « Fethan legte sich den Finger auf die Lippen.
Cento brummte etwas, drehte sich dann um und blickte zu einer der anderen Konsolen hinüber. Die Reaktorsteuerung. Fethan blickte ebenfalls dorthin und sah, dass die bislang tote Konsole aktiv geworden war. Dann sprangen unvermittelt sämtliche Konsolen der Brücke an, und sogar die Leuchthalbkugeln an der Decke erwachten flackernd zum Leben.
»Scheint uns ein wenig Arbeit erspart zu haben«, sagte Cento.
Jetzt hörten sie ein leises Grollen, und die Sterne wanderten über den Quarzbildschirm.
»Die Lagesteuerung«, sagte Fethan. »Wahrscheinlich nur ein automatisches System.«
Das Bild schwenkte weiter, bis die Schwärze des Alls einem blauen Himmel über dem Bogen des Planeten wich. Jetzt stabilisierte sich die Darstellung.
»Ah-oh«, sagte Cento.
Fethan stand auf und blickte in die gleiche Richtung wie der Golem. In der Ferne, über dem Horizont, sah er die Jack Ketek den Orbit verlassen; dann leuchtete ein Blitz aus hellem Rubinlicht auf.
»Ich denke, die Lage ist gerade ein bisschen komplizierter geworden«, setzte Cento hinzu.
Die Sonne tastete mit Fingern aus Licht zwischen den Sandsteinkuppen, sondierte Schatten, drückte sie hinter die Felsen und verscheuchte dabei Kreaturen, die es lieber dunkel hatten. Aber es dauerte einige Zeit, bis sich das Tageslicht sogar in die schmale Schlucht traute und allmählich den Schattenvorhang über den Spuren des dortigen Blutbades lüftete.
Sleernymphen waren zum Vorschein gekommen, um sich an den Überresten einer Kreatur zu mästen, zu der sich höchstens eine aus vielen Millionen von ihnen eines Tages entwickeln konnte - obwohl dieser spezielle Albino mit seinen Saphiraugen auf einen ganz anderen Ursprung zurückblickte. Die Nymphen hatten schwere Panzerstücke durch die Gegend geschleift, während sie sie zugleich vom Fleisch säuberten. Kleinere Fleischklumpen hatten sie direkt von der Erde aufgesaugt, zusammen mit etwas Sand von den Stellen, wo die Körpersäfte am tiefsten eingesickert waren. Auf dem Weg von und zu ihren Tunneln waren sie über die andere Gestalt hinweggeklettert, die in der Schlucht lag, hatten ihr jedoch nicht mehr Beachtung geschenkt als einem Stein. Inzwischen hockten sie alle wieder tief in der kühlen Dunkelheit und verdauten ihren Festschmaus.
Die Schatten zogen sich jetzt bis zu den Sieerbauten zurück und legten erst Schnürstiefel frei, dann eine Hose mit Rissen, durch die ein Messingglitzern hervorlugte, einen Mantel und eine Messinghand, die die breite Krempe eines Huts hielt; schließlich fiel das Licht auf Mr. Cranes offen stehende schwarze Augen. Aber in deren Schwärze reagierte jetzt ein anderes Licht wie das Glitzern von Feenstaub, und der Golem fuhr unvermittelt mit einem Ruck hoch.
Für Crane, der niemals schlafen
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