Der Metzger bricht das Eis
hat mir der Hagel die ganzen Paradeiser kaputt gemacht!«
Jeder von uns hat gewusst, dass das nicht gestern, sondern im Sommer gewesen ist. Oma hat begonnen, den Urliopa daran zu erinnern, da hat Ada ganz laut unterbrochen und gemeint:
»Deine Zuckertomaten hab ich am liebsten, weißt du das, Urliopa!« Dann ist Urgroßvater, da war es schon dunkel draußen, hinaus in seinen Gemüsegarten gegangen, hat dort, wo sonst die Tomaten wachsen, ein bisschen im Schnee herumgestochert mit seinem Gehstock, und ich glaub, er war dabei ausnahmsweise einmal glücklich.
Das ist nicht immer so, wenn er im Schnee herumstochert. Und im Schnee herumstochern, das tut er oft. Sehr oft sogar. Urliopa war früher bei der Bergrettung, genauso wie Opa, also sein Sohn. Und Opa ist da mit seinen 58 Jahren der Beste, sagen die Leute im Ort. Wenn er nach einem Lawinenabgang wen suchen muss, dann gibt er nicht auf, dann ist er wie besessen. Vielleicht hofft er insgeheim, er könnte heute noch irgendwo unter den Schneemassen rechtzeitig Papa finden. Urgroßvater war damals mit Opa zum letzten Mal bei so einer Suche dabei. Vielleicht stochert er deshalb so traurig im Schnee herum, und, da bin ich sicher, seit das damals alles passiert ist, seit Ada und ich nach Mama und Isabella auch noch Papa verloren haben, seit damals vergisst Urgroßvater so viel.
Darum beneid ich ihn.
18
»Fertig.«
Es ist Freitag acht Uhr morgens, und dieses »Fertig« hat durchaus auch körperliche Bedeutung, denn Willibald Adrian Metzger steht schweißgebadet vor dem nun gepackten Geländewagen seiner Halbschwester. »Die ist noch von meiner Mutter, damit waren wir immer auf Skiurlaub!«, wurde ihm im Vorfeld nostalgisch erklärt. »Wie lieb von dir!«, war die Antwort des Restaurators. Das zeugt nämlich von einem Akt äußerst guten Willens, dass Sophie Widhalm, um den gesamten Nachlass Karl Schrothes unterzubringen, extra ihre makabererweise deutlich an einen Sarg erinnernde, sichtlich betagte Skibox aufs Autodach hat montieren lassen.
Diese Nostalgie jedenfalls bekam er zu spüren, der Willibald, denn die Tatsache, mit Öffnen des Deckels der Dachbox automatisch auch diesen Deckel lose in Händen zu halten, ist maximal im Fall der Spontanbenötigung eines Rettungsbootes erfreulich. Ganz zu schweigen vom Wiederverschließen des vollgepackten Transportbehälters in den luftigen Höhen eines SUV . Trotz des unfreiwilligen Morgensports entkam ihm währenddessen dann doch ein Schmunzeln, dem Willibald, denn auf der Innenseite des Deckels klebte ein vergilbtes Schild mit dem Hinweis, was alles in dieser Dachbox nicht transportiert werden soll: Steine und Ziegel, Flaschen und Gläser, Brennbares und Explosives, Flüssigkeiten und Metall, Tiere und Kinder. Ausgewachsene Menschen waren keine abgebildet. Zum Glück, wie der Metzger demnächst noch feststellen wird.
Alle Insassen sind vollzählig, Edgar steckt in einer geliehenen Katzentransportkiste, was größentechnisch ausreichend ist, es geht also los, in vielerlei Hinsicht. Denn kaum läuft der Motor, läuft auch das Radio, ununterbrochen. Im Nachrichtenteil wird mitkommentiert, im Beitragsteil mitdiskutiert, im Musikteil geplaudert oder mitgesungen, im Werbungsteil vorwiegend der Unmut über den Werbungsteil kundgetan, nur der Verkehrsfunk sorgt für einhellige Verschwiegenheit.
»Sagt, gibt es einen Sender, der nur Verkehrsfunk …!«, ist der einzige Versuch einer Wortmeldung, zu der sich der Metzger von der Rückbank aus durchringen kann. Dann ordnet er sich den Gegebenheiten unter. Ein Königreich für ein wenig Ruhe und Schlaf!, geht es ihm durch den Kopf, und noch während er darüber sinniert, wann er erstmals ein regeneratives: »Ich müsste dann mal aufs Klo!« zum Einsatz bringen könnte, kommt er völlig unvermutet, der Liebesbeweis. Rechts des Beifahrersitzes zupft die Hand der Geliebten das männliche Knie, im Spiegel des heruntergeklappten Sonnenschutzes ist ein fürsorglicher Blick auszumachen, kurz wird Händchen gehalten, dann öffnet der Metzger seine Finger und spürt sie, die innere Wärme. Zwei weiche Kugeln liegen da in seiner Hand, Kugeln, von denen Danjela Djurkovic weiß, wie sehr er sie schätzt und die sie völlig unaufgefordert eingepackt hat: Das ist wahre Liebe.
Selig befördert der Metzger die beiden Silikongehörstöpsel an den dafür vorgesehenen Ort und verabschiedet sich, so wie längst auch Edgar im Kofferraum, in den ersehnten Schlaf.
Von Tiefschlaf kann aufgrund der
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