Der Metzger bricht das Eis
gelegentlich dennoch den Gehörschutz durchdringenden Schallwellen allerdings nicht die Rede sein:
»Müssen sich diese Idioten denn gegenseitig immer bergauf überholen, mit drei km/h Geschwindigkeitsunterschied? Verfluchte Lastwagenfahrer!«
»Und Spur wechseln ohne Blinken, BMW , eh klar!«
»Und schön auffahren auf Schwanzlänge, wunderbar, und natürlich ein Mann, logisch!«
Ebenso logisch, dass Sophie Widhalm da noch Intensitätssteigerungen auf Lager hat – bis schließlich jede Hemmschwelle, auch die über Leben und Tod, gefallen ist: »Und der nächste Lkw. Gratuliere, wieder bergauf. Vorn bremst dich ein Lastwagen, hinten fährt dir wer auf, wohin soll ich ausweichen, du Vollpfosten, bin ich ein Hubschrauber? Und wieder ein Mannsbild, immer schön links fahren mit Blinker draußen, immer schön auf der Überholspur, wie im Alltag. Ich, ich, ich! Achtung, meine Herrschaften, kurz festhalten!«
Dann wachen sie endgültig auf, der Metzger und der Hund, denn deutlich war es zu spüren, das für die hohe Geschwindigkeit doch etwas zu akkurate Bremsmanöver.
Hinten wird aufgeblendet, gehupt, im Wageninneren wird gekichert, nur dem Metzger wird übel: »Bin mir nicht sicher, ob wir eine Freud hätten, wenn uns tatsächlich wer auffährt – besonders Edgar da hinten.«
Dann ist es ruhig, auch ohne Verkehrsfunk. Der Lastwagen reiht sich rechts ein, wird von Sophie überholt, einwandfrei ist rechterhand ein zur Stirn deutender Zeigefinger zu erkennen, überraschenderweise kommentarlos wechselt Willibalds Halbschwester nach dem Überholmanöver, wie es sich gehört, auf die rechte Spur, der Drängler schießt vorbei, und ebenso einwandfrei erkennbar ist der linkerhand gestreckte Mittelfinger.
»Groß ist der nicht!«, erklärt Sophie Widhalm belustigt, meint damit den gesamten mit gelber Schirmkappe gerade noch über das Lenkrad blickenden Honda-Civic-Lenker auf der Nebenspur und gibt das Handzeichen diesmal, getarnt hinter den breiten Gläsern ihrer Sonnenbrille, entsprechend ambitioniert zurück. Der Honda Civic beschleunigt, die Heckscheibe samt einer aufgeklebten, im Scheinwerferlicht schimmernden gelben Ziffer eins taucht auf, und vorbei ist es mit der kurzen Ruhe im Wageninneren:
»Schwachköpfe dieser Erde vereinigt euch!«, eröffnet Sophie Widhalm einen bis zur Rast andauernden heiteren Exkurs über den beschränkten Kosmos der Pimberlbande, wie sie die Zusammenrottung des Mannes zu bezeichnen pflegt. Die einzige in Richtung Willibald gerichtete Bemerkung dazu stammt aus dem fürsorglichen Mund Danjela Djurkovics:
»Glaub ich, is besser, schläfst du wieder!«
»Wo fahren wir hin, in ein Skigebiet?«, kann sich der Metzger fast vier Stunden und zwei Lulupausen später in Anbetracht der Kilometer für Kilometer kontinuierlich dahinschmelzenden Schneemassen nicht verkneifen.
»In Vergleich dazu ist Großstadt zur Zeit Winter-Olympiazentrum!«, stimmt Danjela Djurkovic mit ein.
Und wirklich, die Wiesen sind so grün, wie Wiesen im Winter überhaupt nur grün sein können, die Felder braun und die Gewässer eisfrei.
»Abwarten!«, erklärt Sophie und nimmt sie in Angriff, die mit unzähligen Serpentinen gespickte, stark ansteigende Straße. Lange dauert es nicht, und dem Metzger ist grottenschlecht. Für die Kehrtwendungen, die es braucht, um schön weit hinaufzukommen, braucht es eben einen gewaltigen Saumagen. Angespannt lehnt er am Seitenfenster, starrt durch die Scheibe und konzentriert sich zur Ablenkung auf ein seltsames Naturschauspiel.
So hastig, wie es die Schwaden da in der Ferne zwischen grünen Tannen herausdrückt, hat er bis dato noch keinen Nebel aufsteigen gesehen. Als liefe die Zeit vor den Augen des Restaurators im Schnellvorlauf, als hätte man irgendetwas zum Kochen gebracht, so sieht es aus: Dampfende Schlangen rekeln sich in Schneisen den Berg empor, wolkige Bänder durchschneiden den Wald. Worum auch immer es sich dabei handelt, es ist ein durchaus imposanter Anblick. Nicht minder imposant ist die erschreckende Vielzahl der Straßenbenutzer. »Die Einzigen, die hinaufwollen, sind wir jedenfalls nicht!«, stellt Sophie Widhalm fest, verlangsamt aufgrund der stauähnlichen Zustände den Wagen, blickt in den Rückspiegel und schickt einen Ausstoß seltsamer Freude durchs Wageninnere: »Ihr glaubt mir jetzt nicht, wer sich da im Hintergrund gerade Wagen für Wagen vorarbeitet – und in die kleine Lücke hinter uns hineinquetscht! Unglaublich, einfach unglaublich!«
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