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Der Metzger bricht das Eis

Der Metzger bricht das Eis

Titel: Der Metzger bricht das Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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unmittelbar vor ihm findet ein Taschenzaubertrick seinen einsamen Zuschauer, und dieser Zuschauer ist er. Nicht weil er der Einzige ist, dem es auffällt, was der Griff ins Innere des Hosensacks ans Tageslicht befördert, sondern weil er der Einzige ist, dem sich das Magische, ja Geisterhafte dieses Moments offenbart. Ein Moment, an dessen Ende eine weitreichende Erkenntnis steht. Kein Verlust ist es, der da mit dem Herausziehen des Taschentuchs einhergeht, sondern ein Auftauchen, ein kleines zwar, aber von großer Wirkung, eines, das dem Metzger wie eine Heimkehr erscheint, wie eine Aufforderung und zuletzt eine Frage, die zu all den ohnedies schon offenen eine weitere hinzufügt.
    Beschwingt fällt es also aus der Tasche heraus und landet plump, wie der kleine Dumbo, zwischen ihm und dem Heizstrahler im Schnee. Langsam und unauffällig greift Willibald Adrian Metzger hinter sich, beugt sich ein wenig rückwärts, dann hat er es, und vertraut fühlt es sich an. Ist es also zurückgekehrt wie ein Verstoßener, sein ehemaliges Eigentum: Bläulich schimmern die verschieden großen Ohren des kleinen gläsernen Elefanten in seiner Hand.
    Die große Frage ist: Wie kommt er hierher, wer ist für seinen Quartierwechsel aus den Händen der kleinen Anna in die Hände der großen Lisl verantwortlich? Der vorm Spital in seinem silbernen Van wartende Laurenz Thuswalder? Maria Kaufmanns Spielplatzbekanntschaft Hannelore Berger? Die kleine Anna selbst? Ist sie vielleicht sogar hier? Gibt es also eine Verbindung zwischen Maria Kaufmann und diesem Ort? Welche?
    »Quartier wechseln müssen wir alle einmal«, wiederholt der alte Kalcher, lässt sich von seiner Urenkelin bereitwillig abführen, und weil Edgar kräftige Signale erkennen lässt, mitlaufen zu wollen, übergibt Danjela die Leine und bittet strahlende Kinderaugen um seine verlässliche Überstellung in Zimmer 202.
    Man blickt den Dreien hinterher, und ein wenig hat die Runde an Gesprächigkeit verloren. Nun gilt es, die Gelegenheit zu nützen, der von Traude Fischlmeier angedeuteten Stammtischmentalität der Männer Raum zu geben, weiß Willibald Adrian Metzger, fasst seinen ganzen Mut und wagt einen Blindflug:
    »Ja, ja, der Quartierwechsel! Wie es wohl der Maria Kaufmann geht?« Nachdenklich, betroffen ist sein Ton.
    Danjela Djurkovic blickt ihn völlig entgeistert an, auch die Herren wirken erstaunt. Heinrich Thuswalder ergreift das Wort: »Du kennst die Maria?«
    Also doch, jetzt spürt er vor Aufregung den Herzschlag bis hinauf in seine Schläfen, der Willibald: »Ja, wir wohnen im selben Viertel. Schlimm, was mit ihr passiert ist.«
    »Ja, schlimm!«, »So schnell kann’s gehen!«, »Traurig ist das, so traurig!«, »Vor allem für den Bernhard, jetzt, wo der Erich tot ist, hat er gar niemand mehr!«, sind die Reaktionen.
    »Nicht nur für den Bernhard ist das traurig. Die Maria hat doch von einem Neuen noch ein zweites Kind kriagt!«, weiß Sepp.
    »Von einem Neuen wiss man nix, vom Kind schon!«, weiß Walter besser.
    »Schwanger werden ohne Mann? Das funktioniert auch nur, wenn man Maria heißt!«, weiß Josef am besten. Ein Aufflackern des Frohsinns kündigt sich an. Beim Metzger allerdings hat sich zu den pochenden Schläfen ein Schweißausbruch dazugemischt. Mit einem Zug entleert er seinen Becher, in der anderen Hand liegt umschlossen der Glaselefant. Anders wird ihm jetzt, denn jetzt ist auch alles anders, mit einem Schlag. Aus Einzelteilen wird ein Ganzes, langsam beginnt sich ein Kreis zu schließen. Erich Axpichl und Maria Kaufmann waren ein Paar, Bernhard heißt das gemeinsame Kind. Auf dem Spielplatz hat der Metzger einen großen und stämmigen Mann beobachtet, der zuerst fotografiert und dann einen bei Anna und Maria Kaufmann stehenden Jungen mit den Worten »Berni, her da!« zu sich rief.
    Er hat Erich Axpichl also zweimal gesehen, da ist er sich sicher: einmal auf dem Spielplatz mit Jacke, Schirmkappe und Sonnenbrille und einmal im Edelweiß mit Jacke, allerdings ohne Schirmkappe und Sonnenbrille. Wobei im Fall der ersten dieser beiden Begegnungen aufgrund der Tarnung von sehen nicht die Rede sein kann. Umgekehrt allerdings erscheint es dem Metzger jetzt nicht unwahrscheinlich, im Edelweiß von Erich Axpichl wiedererkannt worden zu sein. Vielleicht wurde ja auch er auf dem Spielplatz fotografiert. War die Begründung im Edelweiß also nur ein Vorwand: »Eines kann ich dir versichern, über einen Thuswalder flieg ich hundertprozentig nicht ungestraft

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