Der Metzger bricht das Eis
zum Kalcher-Wohnhaus und der dahintergelegenen Scheune.
Es ist kein großer Ort, das wird spätestens im Hochsommer spürbar, wenn untertags die Begegnungen auf offener Straße mit zwei Händen abgezählt werden können. Neunzig Prozent aller Hotels haben geschlossen sowie eine der beiden Kaffeekonditoreien und Backstuben, drei der vier Kleinsupermärkte, sechs der acht Wirte, sieben der sieben Bars, zwei der zwei Discos und drei der drei Skischulen.
Da heißt es für die hier sesshafte Bevölkerung, um in der saisonlosen Zeit nicht völlig zu vereinsamen, entweder alte Feindschaften pflegen oder zusammenrücken. Und weil es für diejenigen, die sich außerhalb der Wintersaison ein intaktes Sozialgefüge aufgebaut haben, undenkbar wäre, in der so zeitintensiven Wintersaison aufeinander zu verzichten, gibt es ausgewählte wöchentliche Fixpunkte. Einer findet Samstagnachmittag statt, dann, wenn die Lifte zusperren und am Berg, die Saufgelage in diversen Hütten natürlich ausgenommen, endlich Ruhe einkehrt. Bis auf einen Teilnehmer trifft man sich zuerst bei einem der beiden das ganze Jahr hindurch geöffneten Gaststätten, dem Kirchenwirt, nimmt dort eine Stärkung zu sich, teilt sich auf die Autos auf, mittlerweile sind es aufgrund der Ab- und damit verbundenen Zugänge am örtlichen Friedhof leider nur noch zwei Pkw s, und fährt hinauf zur zweiten das ganze Jahr hindurch geöffneten Gaststätte, dem Kalcherwirt.
Oben angekommen, hat Sepp Kalcher meist gemeinsam mit der Lisl und seinem alten Vater dann immer schon das an der Scheune befestigte Flutlicht eingeschaltet, unter dem Scheunenvordach den Kessel mit Beerenpunsch auf den Klapptisch gestellt und die Heizstrahler in Betrieb genommen, das Spielfeld gesäubert, die jeweils mit Namen beschrifteten hölzernen Stöcke herausgeräumt und in einer Linie am Rande der Eisbahn aufgestellt – auch jene Stöcke, deren Besitzer bereits auf ewig ungefragt einen Rosenkranz in ihren gefalteten Händen halten, ja, und auch der Birnstingl, ein Exemplar aus Birnenholz, von seinem verunglückten Sohn, dem Horst, ist dabei. Manchmal taucht dann doch eines der lebenden Kinder auf, auch Töchter wären im Prinzip willkommen oder Ehefrauen, aber da ist sie dann schon beinhart, die Tradition, da werden so schnell eben keine alten Muster aufgebrochen. Nur die Lisl spielt gelegentlich, und schlecht ist sie nicht, mit ihrem Schülerstock.
Heute aber ist alles anders.
Extra für die Oparunde, wie die kleine Ada das Sportereignis zu bezeichnen pflegt, hat Lisl Kalcher ihre Traurigkeit abgelegt und mit dem Urliopa versucht, in bester Kalcher-Manier den Brauch beizubehalten. Pünktlich um 17 Uhr drosseln die beiden Fahrzeuge auf dem Kalcher-Parkplatz ihre Motoren, und ohne die ansonsten so vergnügte Stimmung wird einmarschiert. Lisl macht ihre Sache gut und übergeht aus Respekt vor dem anwesenden Urliopa die Mitleidsbekundungen über die Verhaftung seines Sohnes, also ihres Großvaters, gekonnt, nämlich durch Einschenken einer randvollen Ladung Beerenpunsch, was den zwar noch nüchternen, aber aus Altersgründen trotzdem mit keiner allzu ruhigen Hand ausgestatteten Herren ein sofortiges Heruntertrinken und folglich Klappehalten abfordert. Dann überlässt sie die Truppe sich selbst und zieht sich in den Hintergrund zurück. Ihr ist nicht zum Spielen zumute.
Da trifft es sich gut, dass nach etwa einer halben Stunde eine unwiderstehlich liebenswerte Ablenkung im Flutlicht auftaucht.
»Halt! Schlimme Hund, bleibst du stehen!«, schneidet ein forscher Ton durch die Dämmerung. Vergeblich. Edgar stürmt unbekümmert die Bühne, was in diesem Fall die Eisfläche ist, auf der sich nach der Kollision mit einem Stock das kleine und kreisförmige Zielobjekt des Spiels, auch Daube genannt, in Marsch gesetzt hat. Und weil der kleine Edgar maultechnisch mit so einem großen Eisstock nichts anfangen kann, kommt ihm diese kurze Bewegung der Daube sehr gelegen. Eine offenkundigere Einladung, die Funktionstüchtigkeit seiner Jagdinstinkte unter Beweis zu stellen, gibt es nicht. Kläffend nähert er sich seiner Beute, nicht ohne durch die aufs Eis gelegte Tollpatschigkeit für Erheiterung zu sorgen. Dieses Amüsement währt nicht lange, denn völlig problemlos umfasst er mit seinen kleinen, spitzen Zähnen das Objekt der Begierde und verabschiedet sich damit in Richtung Scheune.
Nur noch Lisl Kalcher ist das Vergnügen anzusehen, ansonsten aber sind es jetzt ein paar forsche Stimmen mehr, die
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