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Der Metzger bricht das Eis

Der Metzger bricht das Eis

Titel: Der Metzger bricht das Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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Wir könnten uns zur Überbrückung eine Runde genehmigen?«, schlägt Sophie Widhalm vor, und dieser Vorschlag kommt nicht von ungefähr. Denn erstens wird es laut Wirt und angesichts der vollen Hütte ein wenig dauern, bis sich eine große gusseiserne Pfanne auf den Tisch verirrt, und zweitens hat Sophie Widhalm nicht nur ihren Toni Schuster im Auge, sondern auch den hinter der Eckbank aufgetürmten Stapel Gesellschaftsspiele. Da trifft sie beim Metzger allerdings genau auf den Richtigen, denn was Gesellschaftsspiele betrifft, verhält sich das Anschwellen seiner Lust diametral zur Libido eines italienischen Ministerpräsidenten, sprich: tote Hose.
    »Um Gottes willen! Da bin ich in etwa so gut wie im Voltigieren!«, verkündet er also entsprechend begeistert und meint: »Ich widme mich lieber anderen Dingen mit einem V und einem O am Anfang – Prost!«, und unten ist sie, die erste Hälfte vom zweiten Vogelbeer.
    »Aber Scrabble wäre doch lustig!«, steht Toni Schuster nach kurzem Blick auf den Spielestapel nun seiner Auserwählten zur Seite.
    »Scrabble!«, wagt der Metzger erneut einen Rettungsversuch. »Ich widme mich lieber anderen Dingen mit einem S und einem C am Anfang – Prost!«, und weg ist er, der Schnaps. »Das kann man aber wunderbar zu viert spielen!«, kontert Toni Schuster, und schon steht sie auf dem Tisch, die grüne Schachtel.
    »Fein.« Sophie Widhalm also ist begeistert.
    »Na fein!«, kommt es fast einstimmig aus dem Mund der beiden anderen. Danjela Djurkovic und die deutsche Sprache stehen ohnedies seit eh und je auf Kriegsfuß, was den Metzger üblicherweise freut, denn wenn er eines ganz besonders liebt an seiner Danjela, dann ihren Akzent.
    Scrabble also, ein Spiel, in dem es darum geht, mit Buchstabensteinen auf einem Spielfeld Worte zu bilden. Im Grunde keine Hexerei, natürlich vorausgesetzt, sie ist nicht allzu mangelhaft, die Rechtschreibkenntnis.
    »Na, ist doch perfekte Idee für Rechtspopulisten und besser als Grenzschutz: Lasst du für Aufenthaltsbestätigung spielen ein paar Ausländer Scrabble in deutsche Sprache, und ruckzuck kannst du abschieben nach Lust und Laune. Wär ich längst ausgewiesen!«, stellt Danjela Djurkovic nach ein paar Durchgängen sichtlich lustlos fest und meint: »Glaub ich, könnte auch gut schmecken Marillenbrand, was meinst du, Willibald?«
    »Ich meine, wir sitzen da mit einem fleischgewordenen Lexikon beisammen!«, ist seine Antwort, denn ein wenig packt ihn der Ehrgeiz jetzt schon. Was Toni Schuster da in seinem knallgelben, den gestählten Oberkörper definierenden Langarmshirt aufs Spielbrett zaubert, und vor allem in welcher Geschwindigkeit, das hätte man ihm trotz seiner bereits deklarierten Alkoholabstinenz auf Anhieb nicht unbedingt zugetraut. Wodurch sich im Metzger einmal mehr der Verdacht erhärtet: Zum Krenreiben ist das mit der Menschenkenntnis.
    »Du übst heimlich?«, stellt nun auch Sophie Widhalm fest.
    »Wieso heimlich! So wie andere einmal die Woche Kegeln gehen, geh ich eben Scrabbeln«, entgegnet Toni Schuster wie selbstverständlich.
    »Genau, und geht Papst heimlich in Moschee, und geht Vegetarier heimlich in Steakhaus, und geht Ungläubiger heimlich über Wasser – und geht Wirt endlich mit gusseiserne Pfanne zu Tisch sieben!«, äußert Danjela Djurkovic schließlich in Anbetracht des herannahenden Kaiserschmarrens ihre Erleichterung. So landet also eine herrlich duftende Sünde samt den ebenso lasterhaften Beilagen wie Apfelmus, Zwetschkenröster, Staubzucker und einem Kännchen Rum auf dem Tisch.
    »Phantastisch!«, ist wenig später das einhellige Urteil, auch über das zum Festmahl gereichte Getränk: Milch, nicht warm, sondern gut gekühlt.
    »Steht dir übrigens gut, der Damenbart«, wagt der Metzger, da ist die Pfanne bereits vollständig geleert, ein Kompliment, und wäre er nun mit seiner Danjela allein, es käme ihm vielleicht der Gedanke, ihr den weißen, schaumigen Schnauzer wegzuküssen.
    »Muss ich sowieso auf Klo, geh ich gleich rasieren!«, steht Danjela Djurkovic nun auf, unmittelbar gefolgt von dem ebenso seinem Harndrang gehorchenden Toni Schuster. So marschieren also zwei Teileingeschränkte, beide mit jeweils angewinkeltem rechten Arm, der männliche klein und muskulös, der weibliche groß und voluminös, in Richtung Erleichterung.
    »Unsere zwei Patienten!«, erklärt Sophie Widhalm liebevoll und kann sich ob des skurrilen Bildes ein Schmunzeln nicht verkneifen, und da ist sie nicht die Einzige.

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