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Der Metzger bricht das Eis

Der Metzger bricht das Eis

Titel: Der Metzger bricht das Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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durchaus schön anzusehen: Strahlend vor Glück steht Sophie Widhalm in ihrem weißen Skianorak neben Toni Schuster in seiner gelben Zweitjacke, und ja, Toni Schuster hat, was ihm weniger einen Griff nach unten als vielmehr einen Griff zur Seite abverlangt, seinen Arm um die Hüfte der Dame gelegt. Ein zugegeben etwas bizarres Bild, muss sich der Metzger jetzt eingestehen, und es ist nicht der doch deutliche Größenunterschied, der ihn da in Staunen versetzt. Denn grotesk ist das schon, derart ungebremst auf genau jenes motorisierte Feinbild Nummer eins abzufahren, dem man kurz zuvor noch auf offener Straße den Tod gewünscht und diesbezüglich auch einen vielversprechenden Beitrag geleistet hat.
    Es dauert also, bis sich der Metzger mit dem Gedanken, dieses seltsame Bild entspringt keiner Traumwelt, sondern der Realität, anfreunden kann. Und da täuscht er sich natürlich schon wieder, denn diese Realität erscheint zumindest den beiden vom Pfeil des Amor Getroffenen wie der Schönste aller Träume.
    »Auf zur Bürglalm«, erklärt Toni Schuster freudetrunken. »Zuerst geht’s rauf, dort verdrückt man Kaiserschmarrn mit Apfelmus und Zwetschkenröster, oder Schinkenfleckerl mit Bergkäse, oder beides, bekommt anschließend eine Rodel und donnert dann wieder hinunter.«
    Ein Jubel entschlüpft Danjela Djurkovic, ein Anflug von Zynismus dem Metzger: »Und wie wollt ihr donnern? Du mit Knochenbruch, du mit Streifschuss?«
    »Ihr sitzt auf der Rodel vorne, wir Rekonvaleszenten sitzen hinten, das geht schon«, mischt sich Toni Schuster wieder ein. »Mensch, Willibald. Ich hab heut verdammt viel Glück gehabt«, dabei drückt er Sophie Widhalm an sich. »Also wenn das kein Grund zum Feiern ist, wann dann?«
    »Ich versteh nur Wandern? Gutes Stichwort übrigens, das Hinaufwandern wird mit deinem Streifschuss nämlich auch nicht grad ein Honiglecken!«
    »Wer hat denn hier was von Hinaufwandern gesagt?«, erklärt Toni Schuster, dann durchschneidet ein Höllenlärm die Stille, und der Metzger traut seinen Augen nicht: »Was für ein Albtraum?«
    In diesem Fall sogar Alptraum, denn was den Metzger nun in den Bergen erwartet, wird er sein Lebtag nicht mehr vergessen.

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    »Da steig ich garantiert nicht ein! Ich geh zu Fuß«, erklärt er so strikt wie möglich.
    »Einsteigen können wir sowieso nicht. Im Unterschied zur Rodel sitzen hier nämlich die Rekonvaleszenten vorne, und wir sitzen überhaupt nicht, sondern wir stehen. Also, rauf mit uns!«
    Gebieterisch geht seine Halbschwester voran und ergänzt: »Jetzt zier dich nicht so. Erstens fährt das Ding wirklich langsam, zweitens kann man sich wunderbar festhalten, und drittens hast du ja deine neue neonfarbene Haube auf, da sieht uns sowieso jeder, selbst bei dichtem Nebel, also was soll passieren.«
    Wie gesagt, die Häme ist die Sprache des Neiders.
    »Auf was wartest du, die Larve ist abmarschbereit – das ist völlig ungefährlich!«, wird ihm nun auffordernd eine Hand entgegengestreckt. Widerstand zwecklos, sieht der Metzger ein und besteigt unsicher den Rücken des wartenden Ungetüms. »Obendrauf mag es vielleicht ungefährlich sein, aber unten drunter: Gnade Gott!«, sind seine letzten Worte, dann geht es los. Wie gesagt, Laurenz Thuswalder ist ein Macher, und sein Freund Rupi, der Liftwart, fährt nicht nur Motorschlitten, sondern auch Pistenraupe.
    Dann heult er auf, der Sechs-Zylinder-Ottomotor. 490  PS setzen mit einer Trunksucht von 20 bis 30 Litern pro Stunde, da freuen sich die Tannen, 8,5 Tonnen in Bewegung. Dass das kein Pirschgang wird, ist ihm klar, dem Willibald, aber dass im Vergleich dazu selbst der Höllenlärm im Edelweiß der Kategorie Exerzitien zugerechnet werden kann, hat er nicht angenommen. Angenommen wird hingegen mit großer Dankbarkeit das ihn umgebende Geländer der Transportgalerie, auch weil neben dem unwegsamen Gelände allein schon das Gefährt dermaßen vibriert, jede überteuerte Rüttelplatten-Beauty-Straffungs-Technologie wird da zur Lachnummer. Lachhaft ist auch die Tempoankündigung seiner Anverwandten, denn von »langsam« kann nicht die Rede sein. Vielleicht ist es der Fahrtwind, der sich auf das Geschwindigkeitsempfinden des Willibald derart beschleunigend auswirkt, vielleicht ist es der flatternde Ohrenschutz seiner Pelzmütze, vielleicht ist es das beinah psychedelische, dem Mund seiner Halbschwester entweichende Schreien, eines steht jedenfalls fest: Das Letzte, woran Willibald Adrian Metzger jetzt denken möchte,

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