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Der Metzger geht fremd

Der Metzger geht fremd

Titel: Der Metzger geht fremd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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Part ebenso in den See schmeißen, und inmitten von Seerosen und Schwänen käme es zum feuchtfröhlichen Begrüßungskuss. Nur fängt das wahre Leben genau da an, wo Herz-Schmerz-Filme aufhören, folglich fällt es dem Metzger nicht im Traum ein, seiner Danjela entgegenzuspringen, weder annoch ausgezogen, bei aller Liebe. Nass wird er aber trotzdem, angezogen, versteht sich. Denn keine Frage, dass die Djurkovic euphorisch aus dem Wasser stürmt, als wären einer zugegebenermaßen wuchtigen Meerjungfrau Beine gewachsen, und keine Sekunde zögert, ihren Willibald an ihr wild pochendes Herz zu drücken: »Bist du ja gekommen wirklich, nicht nur als leere Versprechen! Ach, Willibald!«
    Und während sich die Gänsehaut über den Djurkovic-Körper zieht, zieht das Metzger-Hemd die Feuchtigkeit an wie ein Schwamm. Einige Zeit stehen sie eng umschlungen, dann löst die Danjela ihre Arme, gibt ihrem Willibald einen Kuss, streicht ihm zärtlich übers Gesicht und lächelt ihn liebevoll an.
    Auch der Metzger lächelt, was zur Folge hat, dass das liebevolle Lächeln der Djurkovic in ein gackerndes Lachen übergeht. Ob diese hemmungslose Erheiterung als Höhepunkt weiblicher Wiedersehensfreude gewertet werden kann, wagt Willibald Adrian Metzger zu bezweifeln.
    »Bitte entschuldige, Willibald, bitte. Aber kann ich nicht bleiben ernst, obwohl ist ganz bestimmt nicht lustig!«
    »Ist schon recht«, entgegnet der Metzger, und beim »ist« und »schon« pfeift es durch die Zahnlücke ungewohnt aus seinem Mund, was die Djurkovic abermals mit einem Prusten kommentiert.
    Es dauert ein wenig, bis sich die Djurkovic endlich beruhigt, dann stellt sie so mitleidsvoll wie nur möglich die drängende Frage: »Hast du wenigstens verschluckt, oder hast du verloren?«
    »Weiß ich noch nicht.«
    »Wann ist passiert und was? Nase schaut aus wie Liebkosung von Reibeisen!«
    »Vor etwa einer Stunde, den Rest erzähl ich dir in Ruhe. Treffen wir uns beim Eingang der Kuranstalt!«
    Dann folgt ein bei Weitem nicht mehr so euphorischer, dennoch liebevoller Kuss, und beide treten den Weg zum Treffpunkt an. Die Djurkovic allein durchs Wasser, denn Helene Burgstaller ist längst ans Ufer zurück, der Metzger allein durch den Wald.
    So ganz hundertprozentig bei der Sache war er ja gerade nicht, der Willibald. Natürlich hat es ihn gefreut, wie da voll überschäumender Freude, ähnlich einer rubensschen Nymphe, seine Danjela völlig überraschend aus dem Wasser gestiegen ist. Die Ursache dieser Spontanzusammenkunft dröhnt ihm aber immer noch im Ohr. Verzweifelt hat er geklungen, dieser Schrei.
    Langsam fährt der Metzger den engen Weg zurück und zögert nicht lange, wie da rechter Hand ein schmaler Pfad abzweigt. Die Richtung zur Kuranstalt müsste stimmen, schlimmstenfalls hört der Fußweg einfach auf, und es heißt umkehren. Vorsichtig schiebt er sein Rad entlang des Pfads, und obwohl der mit dichtem Moos überzogene Waldboden, die prallvollen Heidelbeersträucher, die üppigen Tannen und einfach alles hier so unberührt wirken, als wäre vor dem Metzger noch kein anderer Mensch vor Ort gewesen, legt der Wald dann doch Zeugnis ab über einen erst kurz zurückliegenden menschlichen Besuch.
    Der Metzger muss da aber schon etwas genauer hinsehen, um dieses Zeugnis als menschlich zu identifizieren. Im Vorbeigehen und flüchtigen Hinunterschauen ist er zuerst gar nicht schockiert. Wie ein kleiner Wurm mit einem eindrucksvollen Kragen sieht es aus. Gut wäre es, hätte sich der Metzger mit diesem ersten Eindruck zufriedengegeben. Aber nein, er muss ja sein Rad an den nächsten Baum lehnen, in die Knie gehen und mit einem Ast daran herumstochern.
    Keinerlei Anstalten wegzukriechen macht er, der Wurm, dafür rutscht ihm der Kragen hinunter und bleibt golden glänzend im Moos liegen.
    Dabei bemerkt der Metzger,
    • dass das Moos eigentlich mehr dunkelrot als braun ist,
    • dass der goldene Kragen ein goldener Ring ist,
    • dass der Wurm ein abgezwickter Wurm, um nicht zu sagen ein abgezwickter Ringfinger und wahrscheinlich sogar ein relativ frisch abgezwickter Ringfinger ist und
    • dass dieses Abzwicken garantiert jeden zum Schreien brächte, außer einen reumütigen Samurai.
    Schlecht ist ihm, dem Willibald, wie er da so im Moos hockt und sich geistig mit der Prozedur des Fingerabtrennens beschäftigt, was ihn unweigerlich gedanklich zurück zur mütterlichen Nagelzwicke führt. Da muss schon jemand ziemlich geistesgestört sein, sich so etwas anzutun.

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