Der Metzger geht fremd
nächste Kur wegen Lungenentzündung?«
Dann traut der Metzger seinen Augen nicht. Was sich da vor ihm eröffnet, hat mit seiner Vorstellung von einer Kuranstalt aber rein gar nichts zu tun. Eher gleicht das Haus einem Nobelhotel: edle Möbel im Barockstil, schwere Vorhänge, weitläufige Teppiche und überall frische Blumen.
»Und bei diesem schönen Ambiente kannst du es nicht erwarten, nach Hause zu kommen?«, fragt er verwundert seine Danjela.
»Bist du erstes Mal in Speisesaal und siehst du andere Patienten, bleibt von schöne Ambiente nur ›-ente‹, falls Ente steht auf Speisekarte. Zieh ich mir schnell was an, dann zeig ich dir ganze Zoo bei Fünfzehn-Uhr-Kaffee!«
Die Danjela duftet in jeder Falte nach frischem Seewasser und Höhenluft, der Metzger nach den eigenen Körpersäften. Die perfekte Kombination für den Austausch derselben, möchte man meinen. Welch grober Irrtum! Der Geruch von Männerschweiß behagt der weiblichen Nase nur in entsprechenden literarischen Ergüssen aus zumeist männlicher Hand, nicht jedoch in der Realität. Vorbei sind die Zeiten, wo Frauen aus Glück und Dankbarkeit über den vorhandenen häuslichen Mann seine aromatische und gelegentlich auch verhaltenstechnische Nähe zum Wildtier hinnehmen.
Nachdem die Djurkovic also am Zimmer ihre Nachmittagsjausenadjustierung angelegt hat, wird auch dem anwesenden Mannsbild unmissverständlich die Badezimmertür aufgehalten: »Kannst du dich machen ein bisserl frisch!«
In Anbetracht seiner verschwitzten Kleidung, die er auch noch für den Rest des Tages tragen muss, unterlässt der Metzger die von ihm angestrebte Dusche, wäscht sich sein Gesicht, ächzt, wie ihm das Wasser über die aufgeschürfte Nase rinnt, wird von seiner betörend nach Vanille duftenden Danjela folglich mit der besorgten Frage: »Alles in Ordnung?« im Badezimmer besucht, erhält eine liebevolle Spontanverarztung und verfällt abermals in Wehklage. Es hat also seinen Nutzen, wenn man zur Nagellackentfernung stets ein Desinfektionsmittel verwendet: »Na schau, bring ich meine Willibald zum Stöhnen!«
Als wäre das der Startschuss, setzt im Nebenzimmer plötzlich unüberhörbar der Sturmlauf zum folgenschwersten Gipfel dieser Welt ein. Es wird geächzt, nach allen Regeln der Kunst, vorwiegend aus weiblichem Mund. Der männliche Teilnehmer folgt eher dem Grundsatz: In der Ruhe liegt die Kraft – anscheinend auch die Manneskraft. So intensiv steigert sich diese gelegentlich zweistimmige Musik, dass der Djurkovic bald die Freude an ihrer ärztlichen Improvisationskunst vergeht.
»Hörst du?«
»Naja, ist ja wirklich nur schwer zu überhören! Das klingt allerdings weniger nach Nagellackentferner-Erstversorgung.«
»Muss aber Erstversorgung sein, weil hab ich noch nie gehört so ein Gejaule aus Nebenzimmer.«
Lange dauert es dann nicht, bis das von Textzeilen wie »Oh Gott« begleitete Crescendo in ein hysterisches »Oh Gott, oh Gott« übergeht und schließlich in einem monströsen Schlussakkord endet, gefolgt von einem volltönenden, lang gezogenen »Ooh« und kurz angehängten » –Gott!«.
Die Tatsache, dass gar nicht so wenige Menschen auf dem Gipfel ihrer Lust, unabhängig von ihrem Familienstand oder ihrer Konfession, völlig gedankenlos diese Verkündigung ausstoßen, könnte so manchen religiösen Fundamentalisten in schweren Argumentationsnotstand bringen. Besonders, wenn die Djurkovic diesen Vorgang mit einfachen Worten einleuchtend erklärt: »Hat Herrgott schon gewusst, wie bringt man Menschen noch zu Lebzeiten in heitere Himmel.«
»Dem dann gelegentlich aus heiterem Himmel schwerwiegende Überraschungen folgen«, ergänzt der Metzger amüsiert, ohne zu ahnen, wie schwerwiegend diese Überraschungen im Nebenzimmer tatsächlich sein werden.
»Wenn schon wieder geht mit Scherzen, dann geht auch schon wieder mit Denken?« Und dann erzählt die Danjela von der Friedmann-Geschichte: Sie erzählt von ihrem Ausflug zu den Haien, von der ungestörten Stille, von der wie von Zauberhand im Schwimmbecken aufoder eigentlich untergetauchten Leiche, vom Fehlen eines Handtuchs, Bademantels oder anderen Kleidungsstücks und von den staubtrockenen Fliesen. Daraus abgeleitet eröffnet sie dem Metzger einige Theorien:
• Entweder August-David Friedmann war freiwillig schwimmen und ist dazu nackt durch den Sonnenhof stolziert.
• Oder August-David Friedmann wurde begleitet, und nach seinem Untergang ist die offenbar reinlichkeitsfanatische zweite Person
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